[Buchgedanken] Tina Schlegel: „Vier Herzen am See“

Vor kurzem habe ich „Vier Herzen am See“ von Tina Schlegel gelesen. Das Buch ist 2023 in der Emons Verlag GmbH erschienen und als Liebesroman einzuordnen. Vielen Dank an dieser Stelle auch an den Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars im Rahmen einer Leserunde auf Lovelybooks.de.

Die alleinerziehende Sophie kehrt in ihre alte Heimat Konstanz zurück, um nach dem Tod ihrer Eltern die Weinstube der Familie mitten in der Altstadt weiterzuführen. Doch in ihrer Trauer kann sie sich eine Zukunft zwischen all den Erinnerungen kaum vorstellen. Dann begegnet sie dem charmanten Anton mit seinem Hund Zottel. Hunde mag Sophie nicht, aber Anton mag sie sehr. Und Anton scheint sie auch zu mögen. Doch ist er wirklich der, für den er sich ausgibt?

„Vier Herzen am See“ ist der erste genrefremde Roman der Krimiautorin Tina Schlegel – einem Genre, von dem sie sich für das Buch komplett gelöst hat, ist es doch relativ spannungsarm. Dabei ist „Vier Herzen am See“ klar als (klassischer) Liebesroman einzuordnen, wenn sich auch Argumente für einen Schicksalsroman finden, ist ein tragisches Schicksal doch Ausgangspunkt und handlungstreibendes Element für die Protagonistin. Als Gegenwartsliteratur – wie teils in Verkaufsplattformen eingruppiert – würde ich das Buch hingegen nicht sehen.

Die Handlung ist – trotz gelegentlich fehlender Spannung – durchaus kurzweilig und abwechslungsreich, teils jedoch auch vorhersehbar. Dabei mischt Tina Schlegel schwere Themen wie Krankheit, Existenzängste, Verlust und dysfunktionale Beziehungen mit den doch heiteren Szenen zu einem ausgewogenen Gemisch, bei dem die traurigen Szenen nie überwiegen und die Liebesgeschichte somit nicht überlagern. Insbesondere in den Szenen mit Marlene lässt sich hierbei auch die ein oder andere Portion Humor finden.

Das Setting ist gelungen und präsentiert einen innerdeutschen Sehnsuchtsort, mal fernab von der Ost- oder Nordseeküste. So entführt die Autorin den Leser nach Konstanz, an die schweizerische Grenze und das malerische Ufer des Bodensees, in eine Stadt zwischen Blumeninsel und Weinstube, voller Historie und einzelnen Geschichten – gut eingebaut über die Figur von Katrin als Stadtführerin. Teils hätte ich mir hier aber noch etwas mehr Beschreibung, noch etwas mehr Weinwissen gewünscht.

Die einzelnen Figuren sind im Wesentlichen vielschichtig angelegt, haben Stärken und Schwächen, eigene Ziele und Motive. Hierbei überzeugen vor allem wichtige Nebencharaktere wie Chrissi, Hans und Janette, während Sophie etwas blass und fremdgesteuert verbleibt und Marlene zwar für wundervolle Szenen sorgt, teils aber etwas zu reif und sprachgewandt für ihr Alter wirkt. Tina Schlegels Schreistil lässt sich dabei leicht und flüssig lesen und das Kopfkino sofort anspringen.

Die Buchgestaltung ist gelungen. Lektorat und Korrektorat haben sauber gearbeitet, der Buchsatz ist solide, wenn auch die Kapitelüberschriften hier etwas aus der Reihe fallen. Der Buchumschlag ist auf Cover, Buchrücken und Coverrückseite hochwertig geprägt, das grundsätzlich ansprechende und stimmungsvolle, aber auch austauschbare Motiv leider zum Buchrücken hin jeweils unterbrochen, sodass kein einheitliches Gesamtbild entsteht.

Mein Fazit? „Vier Herzen am See“ ist ein Liebesroman, der vor allem mit seinen Setting und einer tollen Kombination aus leichten und schweren Themen punktet, leider aber auch etwas vorhersehbar und spannungsarm ist. Für Leser des Genres dennoch bedenkenlos zu empfehlen – ab einem Lesealter von etwa 14 Jahren.

[Buchgedanken] Sebastian Beck: „Vinz Solo“

Vor kurzem habe ich „Vinz Solo“ von Sebastian Beck gelesen. Das Buch ist 2023 in der Langen Müller Verlag GmbH erschienen und als Entwicklungsroman einzuordnen. Vielen Dank an dieser Stelle auch an den Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars im Rahmen einer Leserunde auf Lovelybooks.de.

Die niederbayerische Provinz in den Achtzigern: In Artlhofen tobt der Kulturkampf zwischen Kirche, CSU und der Anti-Atombewegung. Mittendrin der 18-jährige Oberministrant Vinzenz Bachmaier, der endlich auch einmal cool sein möchte. Aber statt zur Demo nach Wackersdorf muss er zur Wallfahrt nach Altötting mitfahren. So wird das nichts mit seiner Ricarda und der Karriere als Rockgitarrist. Als er schließlich mit seiner Band aus der katholischen Enge ausbricht und das Glück greifbar nah scheint, nimmt sein Leben eine tragische Wendung. Vinzenz ist plötzlich ganz auf sich und seinen kauzigen Freund Kowalczyk gestellt – und auf seinen trotzigen Lebenswillen.

„Vinz Solo“ ist der neueste Roman des bayrischen Journalisten Sebastian Beck – und mehr oder weniger ein Porträt, eine Skizze über das Leben im ländlichen Bayern der 80er Jahre. Darüber hinaus ist das Buch – wie oben benannt – ein Entwicklungsroman, ist Coming-of-Age und Gegenwartsliteratur. Und es ist durchaus auch Gesellschaftskritik – im Großen wie im Kleinen. Dabei lassen sich zumindest einige der angesprochenen Themen auch gut in die heutige Zeit transportieren und sorgen so für eine gewisse Aktualität.

Die Handlung ist hierbei durchaus abwechslungsreich, teils aber auch vorhersehbar und überzeugt vor allem im ersten Abschnitt, der vor Humor und Leichtigkeit strotzt, während der zweite und dritte Teil des Buches doch etwas abbaut. Zwar wird das Buch zum Ende hin wieder etwas stärker, dies wird aber durch das in Gänze offene Ende konterkariert, das den Leser doch etwas unbefriedigt zurücklässt – insgesamt fehlt hier etwas der rote Faden, der sich sinnstiftend durch die komplette Handlung zieht.

Das Setting ist naturgemäß ein Traum. Der Autor entführt den Leser in die bayrische Provinz der 80er Jahre, in eine Welt zwischen Tradition und ersten, zarten modernen Anwandlungen – zwischen Punk und Kirchenchor, zwischen Anti-Atomkraft und Konservatismus. Eine Reise, die für die meisten Leser, die die 80er Jahre nur am Rande oder gar nicht miterlebt haben, in vielen Punkten abenteuerlich, teils sogar gar nicht vorstellbar ist.

Die einzelnen Figuren sind vielschichtig angelegt, einige zentrale Nebenfiguren wie Dilara und Simmerl können hier auch überzeugen. Vinz hingegen hängt irgendwie in der Luft, handelt teils nicht nachvollziehbar, zeigt keine Lernkurve und macht es dem Leser somit trotz der Ich-Perspektive schwer, eine Bindung zu ihm zu entwickeln. Sebastian Becks Schreibstil ist leicht und flüssig lesbar und überzeugt gerade im ersten Teil mit bestechendem Humor, der leider im Verlauf der Handlung immer weiter abnimmt.

Die Buchgestaltung ist solide. Lektorat und Korrektorat haben sauber gearbeitet, der Buchsatz ist fehlerfrei und lässt (immerhin) wenigstens die drei Buchabschnitte auf ungeraden Seiten beginnen, was bei der Masse an Kapiteln sonst nicht geschieht. Der Buchumschlag ist mit Klappen und farbigen Coverinnenseiten versehen, das Titelbild zieht sich gut über den gesamten Umschlag und sorgt für einen tollen Gesamteindruck, der auch durch die unglaublich gelungene Haptik des Buches verstärkt wird. Allerdings vermag das Titelbild in seiner Komposition nicht zu überzeugen. Zwar ist es farblich toll, die Zusammenstellung des gezeichneten Motivs mit dem hineingesetzten Menschen irritiert jedoch.

Mein Fazit? „Vinz Solo“ ist ein interessantes Porträt über das ländliche Bayern der 80er Jahre, das mit seinem Setting brilliert und stark und humorvoll beginnt, aber leider mit Verlauf der Handlung etwas nachlässt, den roten Faden vermissen lässt und viel zu offen endet. Für Leser mit Interesse am Thema dennoch zu empfehlen – ab einem Lesealter von 16 Jahren.

[Buchgedanken] Thorsten Pilz: „Weite Sicht“

Vor kurzem habe ich „Weite Sicht“ von Thorsten Pilz gelesen. Das Buch ist 2023 bei Lübbe in der Bastei Lübbe AG erschienen und als Familiensaga einzuordnen. Vielen Dank an dieser Stelle auch an den Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars über die Bloggerjury.

Vier Frauen, vier Leben. Charlotte, die nach dem Tod ihres Mannes in Frage stellt, woran sie so lange glaubte. Gesine, die Hilfe braucht und nicht weiß, wie sie darum bitten soll. Sabine, die einsam ist und sich nicht damit abfindet. Und die Dänin Bente, der Freigeist, die Unruhestifterin, die fürchtet, nicht mehr genug Zeit zu haben für das, was sie noch vorhat. Nach vielen Jahren taucht Bente plötzlich wieder in Hamburg auf und wirbelt Charlottes Leben durcheinander. Mit ihrem Humor, ihrer Begeisterung für die Schriftstellerin Karen Blixen und ihrer Abenteuerlust. Vier Frauen, vier Leben. Und doch ist das, was ihnen die Sicht auf Neues verstellt, nur mit vereinten Kräften zur Seite zu schieben.

„Weite Sicht“ ist der Debütroman von Thorsten Pilz – und ich habe mich bereits mit der Genrezuordnung schwer getan. So liegt keine klassische Familiensaga vor, aber definitiv ein Roman über Familie – echte und selbst gewählte. Gleichsam sind aber auch Aspekte eines Entwicklungs- und Schicksalsroman vorhanden – und auch durchaus Argumente für die Klassifizierung als Gegenwartsliteratur. Aufgrund der jedoch wirklich starken Zentrierung um das Thema „Familie“ habe ich es schlussendlich bei der Eingruppierung als Familiensaga gelassen.

Die Handlung ist eher sekundär, passiert doch – etwas zugespitzt gesagt – fast gar nichts, wird die Geschichte doch vielmehr durch die Beziehungen untereinander und durch jeweils intrinsische Motive der Charaktere vorangetrieben als durch externe Handlungselemente. Dies ist in der Schlichtheit und Klarheit auch vollkommen okay – ich hätte mir lediglich gewünscht, dass die rar eingestreuten Handlungselemente etwas intensiver behandelt worden wären. Toll jedoch, dass die Handlung zeigt, dass auch im Alter von über 70 neue Liebe, neue Lebensabschnitte und drastische Veränderungen möglich sind.

Das Setting ist gelungen. So entführt der Autor den Leser nach Hamburg in die High Society zwischen Reederfamilie und Kulturstiftung, und in einen Vorort von Kopenhagen am Oresund – malerischer Sandstrand inklusive. Dabei zeigt Thorsten Pilz vor allem die stillen Seiten der Orte, die Alster am frühen Morgen, das Geburtshaus von Karen Blixen – oder auch den Berliner Teufelsberg. Eine bewusste Ruhe und Entschleunigung, die sicher auch dem Alter der Protagonistinnen geschuldet ist.

Die einzelnen Charaktere sind im Wesentlichen vielschichtig angelegt, haben Stärken und Schwächen, eigene Ziele und Motive. Hierbei überzeugt vor allem die dänische Wahlverwandtschaft mit Bente, Mogens und Troels, während Sabine nicht zwingend nachvollziehbar handelt. Der Schreibstil von Thorsten Pilz ist dabei leicht und flüssig lesbar, lässt das Kopfkino sofort anlaufen.

Die Buchgestaltung ist solide. Lektorat und Korrektorat haben sauber gearbeitet, der Buchsatz ist ordentlich, auch wenn die Überschrift der Kapitel mit fortlaufender Handlungsdauer unnötig erscheint. Der Buchumschlag ist mit Klappen ausgestaltet, das Titelbild zieht sich gut über den kompletten Umschlag und sorgt für einen tollen Gesamteindruck, auch wenn der Bezug zur Handlung etwas fehlt.

Mein Fazit? „Weite Sicht“ ist ein im Großen und Ganzen, vor allem sprachlich, überzeugendes Debüt mit tollem Setting und interessanten Charakteren und nur kleineren Schwächen in der Handlung. Bedenkenlos zu empfehlen – ab dem vom Verlag empfohlenen Lesealter von 16 Jahren – vielleicht auch ein, zwei Jahre früher.

[Buchgedanken] Gabriel Herlich: „Freischwimmer“

Und auch dieses Buch habe ich vor kurzem gelesen, nachdem ich den Autor auch auf der Leipziger Buchmesse getroffen habe. „Freischwimmer“ von Gabriel Herlich ist 2023 im Pendragon Verlag erschienen und als Gegenwartsliteratur einzuordnen. Vielen Dank an dieser Stelle auch an den Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars im Rahmen einer Leserunde auf Lovelybooks.de.

Es gibt Zeiten im Leben, auf die man zurückblickt und begreift, dass sie alles verändert haben – für Donnie Frey ist diese Zeit sein 21. Sommer. Eine einzige schicksalhafte Begegnung reicht aus, um Donnie völlig aus der Bahn zu werfen. Plötzlich sieht er sich mit Fragen konfrontiert, denen er bislang erfolgreich ausgewichen ist. Was bedeutet es, eigene Entscheidungen zu treffen und mit den Konsequenzen zu leben? Wie weit würde er gehen, um für seine Überzeugungen einzustehen? Antworten auf diese Fragen findet er dort, wo er sie am wenigsten erwartet hätte: in Zimmer 311 eines Altenheimes, auf dem Fahrersitz eines Buchanka und in einem malerischen Hotel in Südfrankreich.

„Freischwimmer“ wird im Blurb von Takis Würger als Roadmovie, als Liebesgeschichte und Entwicklungsroman beschrieben – und ist unzweifelhaft auch all das. Gleichsam ist es auch ein Coming-of-Age Roman, fast eine Familiensaga, aber vor allem auch ein Roman der Gegenwartsliteratur. Letzteres habe ich auch als Einordnung, als Symbolbild für die Gesamtheit, die Komplexität übernommen – eine Kategorisierung, die durchaus auch auf wichtigen Verkaufsportalen zu finden ist.

Die Handlung ist abwechslungsreich und kurzweilig – auch wenn die einzelnen Zufälle, die die Handlung vorantreiben, in der Gesamtheit doch etwas konstruiert erscheinen. Das Ende hingegen verdient sein Lob dafür, nicht klischeehaft ein Happy-End zu installieren, sondern eine Auflösung, die zur Story passt und sich echt und organisch anfühlt. Dabei mischt Gabriel Herlich schwere Themen wie Rassismus, Antisemitismus, Beutekunst und physische und sexuelle Gewalt mit der zarten Liebesgeschichte – und einer Mission der Wiedergutmachung.

Das Setting ist gelungen. So entführt der Autor den Leser nach Hamburg, in eine Welt voller Gegensätze zwischen High-Society Villa und schäbiger Gartenlaube, die in der Figur von Donatus kumulieren, der zu Beginn des Buches in beiden Welten – und doch irgendwie in keiner – so richtig zuhause ist. Zudem nimmt Gabriel Herlich den Leser auch mit auf eine Reise, nicht nur nach Frankreich sondern auch in die Vergangenheit zweier Familien voller Geheimnisse und Erinnerungen.

Die einzelnen Figuren sind vielschichtig angelegt, haben Stärken und Schwächen, eigene Ziele und Motive. Hierbei brilliert vor allem Meggie, und auch Laura und Vincent können als wichtige Nebencharaktere überzeugen. Donatus hingegen bleibt etwas blass, handelt nicht immer nachvollziehbar und lässt teils eine Lernkurve vermissen. Gabriel Herlichs Schreibstil ist hingegen leicht und flüssig lesbar und lässt das Kopfkino sofort anspringen.

Die Buchgestaltung ist solide. Lektorat, Korrektorat und Buchsatz haben sauber gearbeitet, wobei letzterer sich ein Zusatzlob dafür verdient, jedes Kapitel auf einer ungeraden Seite zu starten. Der Buchumschlag ist relativ simpel und eintönig, das Covermotiv, das ebenfalls nicht in Gänze überzeugt, abrupt zum Buchrücken unterbrochen. Auch das unter dem Umschlag befindliche Buch ist sehr einfach gestaltet – lediglich die Haptik vermag hier wirklich zu überzeugen.

Mein Fazit? „Freischwimmer“ ist ein Roman der Gegenwartsliteratur, der mit einer abwechslungsreichen und gut ausbalancierten Handlung punktet, die allerdings in Teilen auch etwas konstruiert erscheint. Für Leser des Genres bedenkenlos zu empfehlen – ab einem Lesealter von etwa 14 oder 15 Jahren.

[Buchgedanken] Berni Mayer: „Das vorläufige Ende der Zeit“

Vor kurzem habe ich „Das vorläufige Ende der Zeit“ von Berni Mayer gelesen. Das Buch ist 2023 im DuMont Buchverlag erschienen und als Gegenwartsliteratur einzuordnen. Vielen Dank an dieser Stelle auch an den Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars im Rahmen einer Buchverlosung auf Lovelybooks.de.

Der verlassene jüdische Friedhof Słubice gehört zu Frankfurt an der Oder, liegt aber auf polnischem Staatsgebiet. An diesem besonderen Ort begegnet die Archäologin Mi-Ra zum einen dem Friedhofswärter Artur, zum anderen Horatio Beeltz, einem seltsamen, aus der Zeit gefallenen Verleger, der nicht nur alles über den Friedhof weiß – sondern sich auch sehr für Mi-Ra und Artur und ihre Geschichte interessiert. Mi-Ra hat ihre traumatische Kindheit und eine brutale Beziehung bloß halb überwunden; Artur lebt nach dem Tod seiner kleinen Tochter wie betäubt in einer nahezu wortlosen Ehe. Dann eröffnet ihnen Horatio Beeltz Ungeheuerliches: Er habe auf dem Friedhof in Słubice einen Zeitriss entdeckt, über den es möglich sei, in die eigene Vergangenheit zu reisen. Falls sich Mi-Ra und Artur dazu entschlössen, könnten sie an bestimmten Stellen in ihrem früheren Leben eine andere, vielleicht bessere Entscheidung treffen und den Dingen eine neue Wendung geben.

„Das vorläufige Ende der Zeit“ lässt mich auch etwas nach Beenden der Lektüre weiterhin ratlos zurück. Und das beginnt bereits beim Genre. Ist das Buch ein Roman der Gegenwartsliteratur? Wohl schon. Aber geht es nicht auch um Zeitreisen? Ja, sodass man wohl auch zu Science-Fiction tendieren könne, wenn auch das Konzept der Zeitreisen im Buch hier eher untechnisch als ideologisch ist. Und schließlich ist auch die Selbsterkenntnis der Protagonisten zentral für das Buch, sodass auch Aspekte eines Entwicklungsromans vorhanden sind – ein bunter Genremix also, den ich der Einfachheit halber der Gegenwartsliteratur zugeordnet habe.

Die Handlung ist im Wesentlichen aufgeteilt auf vier Handlungsstränge: den gegenwärtigen, sowie die vergangenen von Mi-Ra, Artur und Horatio – die eher nebensächlichen und vernachlässigbaren Informationen zu Hubert Freund mal weggelassen, dessen einzig relevanter Anteil am Buch die Wortspiele mit seinem Namen sind. Dabei taucht die Handlung tief in die menschliche Psyche ein, spielt mit den Erinnerungen und dem Zeitreise-Paradoxon, ist im Wesentlichen eine Ausgestaltung der Multiversumstheorie. Wer sich hier klare Antworten wünscht, ist eher fehl am Platz, ist das Buch doch auf Dauer interpretationsbedürftig und auslegbar – wie auch das Leben selbst, auch wenn es einen als Leser dennoch bedingt unbefriedigt zurücklässt, insbesondere das Ende.

Das Setting ist hingegen toll gewählt. Der jüdische Friedhof in Slubice verbindet wie kaum ein anderer Ort Vergangenheit und Zukunft, verschiedene Länder, Menschen und Religionen. Darüber hinaus entführt uns Berni Mayer durch die Zeitreisen/Erinnerungen ins Polen der Jahrtausendwende, nach Essen, in den Alltag koreanischer Einwanderer, und nach Whitley Bay im frühen 20. Jahrhundert und verknüpft dabei die Handlungsorte aufgrund der (psychedelischen?) Reisen stark mit Gerüchen – ein interessanter Ansatz.

Die einzelnen Figuren sind im Wesentlichen vielschichtig angelegt, beschränken sich aber auch auf einen kleinen Kreis wirklicher Protagonisten, sind ihre Familienmitglieder doch mehr oder weniger zu Statisten degradiert. Mi-Ra überzeugt hier auf ganzer Linie mit ihrem scharfen Blick – aber vor allem auch ihrer Kompromisslosigkeit und Direktheit, während Artur übers ganze Buch hinweg etwas blass verbleibt und Horatio sich als skurrile, nicht einschätzbare Mischung zwischen P. T. Barnum und Werther herausstellt. Berni Mayers Schreibstil ist dabei gut und flüssig lesbar und lässt das Kopfkino sofort anspringen.

Die Buchgestaltung ist durchwachsen. Lektorat und Korrektorat haben ordentlich gearbeitet, der Buchsatz verdient sich bereits ein Lob dafür, jedes Kapitel auf einer ungeraden Seite zu starten und ist sonst auch konservativ-solide. Der Buchumschlag ist relativ monoton, das darunterliegende Buch sehr schlicht, der Blurb auf der Coverrückseite kaum lesbar (ocker auf mintgrün?). Auch das Cover vermag nicht ganz zu überzeugen – eigentlich gibt es auch kein Covermotiv, sondern nur den typografisch ungewöhnlich gesetzten Titel.

Mein Fazit? „Das vorläufige Ende der Zeit“ ist ein atmosphärischer und eindringlicher Roman, der vor allem dank seiner Prämisse und dem tollen Setting brilliert, aber auch im Unklaren verbleibt und sich so zum Ende hin etwas verliert. Für Leser von Gegenwartsliteratur dennoch bedenkenlos zu empfehlen – allerdings nicht unbedingt für den klassischen Sci-Fi-Leser.

Doppelte Vormesse-Buchpost von Lovelybooks

Am heutigen Sonntag möchte ich Euch zwei Bücher zeigen, die mich bereits vor der Messe als Rezensionsexemplare im Rahmen von Leserunden auf Lovelybooks.de erreicht haben – vielen Dank dafür <3. „Nach einem Traum“ ist dabei der Debütroman von Gina Schad aus dem Goya Verlag und entführt den Leser in das Spannungsfeld des Verliebens im digitalen Raum, während „Meine Reise mit den Meeresschildkröten“ von Christine Figgener (Malik Verlag in der Piper Verlag GmbH) den Leser mit auf eine Reise in das Leben der faszinierenden Tiere nimmt – tolle Fotos inklusive. Ich bin schon ganz gespannt auf die beiden Bücher, die jeweils brennende Themen der heutigen Zeit ansprechen.

Worüber würdet Ihr gern einmal ein Buch lesen?

Von Wünschen und Entscheidungen | Doppelte Lovelybooks-Buchpost

Bevor es heute Nachmittag für mich nach Leipzig zur LBM geht, möchte ich Euch noch zwei Bücher zeigen, die mich vor kurzem als Rezensionsexemplare erreichten – vielen Dank dafür. „Lotta und die Wunschfabrik“ von Nicole Grom und Jekaterina Griskjane (Edition Kleine Schriften) kam dabei über eine Leserunde, „Das vorläufige Ende der Zeit“ von Berni Mayer (DuMont Buchverlag) über eine Buchverlosung, jeweils auf Lovelybooks.de, zu mir. Bilderbuch und Zeitreiseroman der Gegenwartsliteratur – mehr Abwechslung geht wohl nicht ;).

Wen von Euch sehe ich bald in Leipzig?

Rezensionsexemplare im Doppelpack | Buchpost ganz in Blau

Heute möchte ich die Gelegenheit nutzen, Euch zwei Bücher zu zeigen, die mich bereits vor einigen Tagen als Rezensionsexemplare erreicht haben. „Vince Solo“ von Sebastian Beck (Langen Müller Verlag) kam dabei im Rahmen einer Leserunde auf Lovelybooks.de zu mir, „Weite Sicht“ von Thorsten Pilz (Lübbe) über die Bloggerjury der Bastei Lübbe AG – vielen Dank dafür! Beide Bücher sind – zumindest im weitesten Sinne – sicherlich der Gegenwartsliteratur zuzurechnen, und bei beiden dominiert die Farbe Blau im Cover. Ich bin schon gespannt, ob mir schlussendlich das Blau des bayrischen Himmels oder der Nordsee besser gefällt.

Welche Farben oder Farbkombinationen mögt Ihr auf Covern besonders?

[Buchgedanken] Caroline Schmitt: „Liebewesen“

Vor kurzem habe ich das Debüt „Liebewesen“ von Caroline Schmitt gelesen. Das Buch ist 2023 im Eichborn Verlag in der Bastei Lübbe AG veröffentlicht worden und dem Genre Liebesroman zuzuordnen. Vielen Dank an dieser Stelle auch an den Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars über die Bloggerjury.

Lios Körper ist ihr Albtraum, daran ändert auch ihr Freund Max nichts. Als sie ungeplant schwanger wird, starrt sie nicht nur fassungslos auf den positiven Test, weil jemand wie sie doch gar nicht schwanger werden kann, sondern auch auf das Ende einer mühsam erarbeiteten Normalität. Sie ist unfähig, Max von der Schwangerschaft zu erzählen, und genauso unfähig, diese zu beenden. Während das Kind in Lios Bauch wächst, prasseln Erinnerungen auf sie ein: an ihre kalte Mutter, ihren hilflosen Vater und an all das andere, das sie für immer vergessen wollte. Zum ersten Mal stellt sie sich ihrer Vergangenheit – und riskiert damit, dass alles zusammenbricht.

„Liebewesen“ ist der Debütroman der Journalistin Caroline Schmitt – und was für einer. Dabei lässt er sich bereits nur schwerlich einem Genre zuordnen. Als Modernisierung fürs Liebesroman-Genre beworben, lässt er sich zwar unzweifelhaft dort einordnen, changiert aber auch zwischen Entwicklungs- und Schicksalsroman, ist Gegenwartsliteratur und ließe sich sogar im Bereich LGBTQIA+ einordnen – ein bunter Genremix also.

Die Handlung ist zentriert auf die Liebesgeschichte – bzw. die Beziehung – zwischen Max und Lio und wird aus der Ich-Perspektive von Lio erzählt, was es dem Leser ermöglicht, mit ihr im Speziellen mitzufiebern, zu weinen, zu lachen und zu leiden. Dabei verliert die Geschichte – trotz der schweren Themen – nie ihren Humor, der den Roman prägt und viel zum – sprachlichen – Erfolg des Debüts beiträgt. So unglaublich stark sie anfängt, baut sie allerdings auch leicht in der zweiten Hälfte ab – und gerade das Ende vermag hier nicht zu überzeugen.

Das Setting ist so austauschbar wie das Leben, belanglos – und daher gerade gut und realistisch. Eine chaotische WG, eine Wohnung mit Goethe-Gesamtausgabe – und ein Palettenbett in der gemeinsamen Wohnung. Caroline Schmitt führt den Leser in den banalen Alltag zwischen Bootstouren nach Frankreich und Jahrgangspartys im Garten der Mutter – schonungslos und ehrlich zeigt sie die Klischees von ihrer wahren Seite: weder romantisch verklärt, noch glamourös leuchtend.

Dies schlägt sich auch in den Figuren durch, die perfekt unperfekt sind – vom depressiven Radiomoderator bis hin zur – nicht näher definierten – asexuellen Biologin, die schwanger wird. Die Autorin schafft hier Figuren, die nachvollziehbar sind, die auch problemlos im Nachbarhaus leben könnten. Dabei ist ihr Schreibstil gut und flüssig lesbar, pointiert und prägnant – lediglich am Ende verlieren sich Autorin und Geschichte etwas.

Die Buchgestaltung ist solide. Lektorat und Korrektorat haben sauber gearbeitet, der Buchsatz ist konservativ, aber fehlerfrei – auch wenn man auf die den späteren Kapiteln vorgestellten Erklärungen zu den einzelnen Schwangerschaftswochen hätte verzichten können. Der Buchumschlag ist einfach, die Coverrückseite überladen, das Buch unter dem Umschlag immerhin mit farbigen, allerdings eintönigen Coverinnenseiten versehen. Das Covermotiv ist experimentell und gewöhnungsbedürftig – schon ein Eyecatcher, allerdings ein fragwürdiger, fehlt mir doch jeder Sinn hinter dem Motiv.

Mein Fazit? „Liebewesen“ ist ein spannendes Debüt, das vor allem dank der pointierten Sprache, dem Humor und seiner schonungslosem Realismus punktet, aber auch kleinere Schwächen gerade am Ende hat. Für Leser von Gegenwartsliteratur bedenkenlos zu empfehlen – ab einem Lesealter von etwa 16 Jahren.

[Buchgedanken] Susanne Kristek: „Die nächste Depperte: Von einer, die auszog, um Autorin zu werden“

Vor kurzem habe ich „Die nächste Depperte: Von einer, die auszog, um Autorin zu werden“ von Susanne Kristek gelesen. Das Buch ist 2023 in der Gmeiner-Verlag GmbH erschienen und als humoristischer, autofiktionaler Roman einzuordnen. Vielen Dank an dieser Stelle auch an den Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars im Rahmen einer Leserunde auf Lovelybooks.de.

Das beschwerliche Leben einer Frau, die es sich in den Kopf gesetzt hat, Bestseller-Autorin zu werden und in ihrem Eifer vor keiner durchgeknallten Idee zurückschreckt. Sie bedrängt den Pfarrer für eine Besprechung im örtlichen Pfarrblatt, hält Lesungen vor Toten und lässt sich von Hera Lind in Hausschuhen coachen.

„Die nächste Depperte: Von einer, die auszog, um Autorin zu werden“ ist Gegenwartsliteratur, ist autofiktionaler Roman – und ein Buch über das Schreiben, den Literaturbetrieb generell, zumindest den in Österreich. Noch viel mehr ist es aber ein humoristischer Roman, der mit – mindestens – einem Augenzwinkern ironisch über sich selbst lachen kann – und auch dem Leser ein Lächeln ins Gesicht zaubert und ihn an eigene Erlebnisse auf Messen oder in der Buchbranche erinnert.

Die Handlung ist dabei relativ simpel – und vernachlässigbar. Susanne Kristeks Weg zum Buch lebt vor allen Dank seiner kleinen, eingestreuten Anekdoten übers Scheitern, übers Auf und Ab des Schreibens – über den Kampf mit und gegen den Text. Und beinhaltet auch die unumstößliche Wahrheit, dass Kinderbücher nicht einfach so geschrieben werden können, sondern schwieriger sind, als man denkt – außer vielleicht für den Gatten.

Das Setting ist – auch wenn es gerade nicht aufgesetzt, sondern sehr real ist – einer der Leuchtpfeiler des Romans und trägt im Wesentlichen zu dessen Humor bei. So entführt Susanne Kristek den Leser nach Österreich auf eine Tour durch Buchhandlungen, Fastenkuren und Friedhöfe bis in die heiligen Hallen von Hera Lind. Dabei ist der Schreibstil der Autorin locker und leicht lesbar und lässt das Kopfkino sofort anspringen, sodass die skurrilen Orte direkt vor dem inneren Auge entstehen.

Bei einem autofiktionalen Roman etwas über die Figuren zu sagen, verbietet sich eigentlich von selbst. Nichtsdestotrotz muss ich hier einmal festhalten, dass ich ein totaler Fan des Gatten – und auch der Tochter – bin (klingt nach einer unglaublich tollen Familie). Daher würde es mich unglaublich freuen, zu sehen (bzw. zu lesen), was der Gatte aus der doch tollen Kinderbuchidee macht.

Die Buchgestaltung ist solide. Lektorat und Korrektorat haben sauber gearbeitet, der Buchsatz ist unauffällig, aber auch etwas uninspiriert. Der Buchumschlag ist mit Klappen und farbigen – leider etwas eintönigen – Coverinnenseiten versehen. Das Covermotiv ist interessant und bietet einige Bezüge zur Handlung, wird aber irritierenderweise als nichtssagender Ausschnitt auf dem Buchrücken wieder aufgegriffen. Auf der Coverrückseite werden zudem nicht ein, nicht zwei, drei oder vier, sondern ganze fünf Blurbs zusätzlich zur Buchbeschreibung abgedruckt, sodass diese gänzlich überladen ist – hier wäre weniger sicherlich mehr gewesen.

Mein Fazit? „Die nächste Depperte: Von einer, die auszog, um Autorin zu werden“ ist ein autofiktionaler Roman, der vor allem durch seinen tollen Humor punktet und nur kleinere Schwächen aufweist. Für Leser des Genres – und für jeden im Literaturbetrieb – bedenkenlos zu empfehlen.