[Autoreninterview] Nora Bendzko im Gespräch

Ich wünsche Euch allen einen frohen ersten Mai. Wie bereits mehrfach in der letzten Zeit erwähnt, bot sich mir auf der Leipziger Buchmesse die tolle Gelegenheit, ein Interview mit Nora Bendzko zu führen. Nun möchte ich Euch nicht mehr länger auf die Folter spannen. Daher – ohne lange Vorrede – Vorhang auf für: Nora Bendzko!

Erik:
Hallo Nora, schön, dass du dir die Zeit für dieses Interview genommen hast. Zuerst möchte ich dir noch einmal zu der Shortlist-Platzierung in der Kategorie „Bester Independent Titel“ bei der diesjährigen Verleihung des „Seraph“ gratulieren. Auch wenn es am Ende nicht für den Sieg gereicht hat, wurde dein Buch „Kindsräuber“ von der Jury zu einem der drei besten phantastischen Indie-Titel im Jahr 2017 gewählt. Wie fühlt sich das an?

20180316_170223Nora:
Es fühlt sich gigantisch an. Ich konnte das anfangs nicht ganz glauben, weil bereits „Wolfssucht“ für den Deutschen Phantastik Preis nominiert war. Ich habe zwar meine Leserschaft und diese wächst auch beständig, kann es jedoch immer noch nicht fassen. Ich bin sehr dankbar dafür, dass ein so ungewöhnlicher Genre-Mix so gut bei den Leserinnen und Lesern ankommt. Die Preisverleihung selbst war auch unglaublich. Ich saß zusammen mit Janna Ruth im Publikum, wir haben über das Jahr verteilt zusammen gemeinsame Aktionen gemacht. Es war ein fantastisches Gefühl, zusammen im Publikum zu sitzen und uns gegenseitig die Hände zu halten, gerade wenn man bedenkt, wie knapp die Entscheidung war. Es war ja nach den Angaben der Jury ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Da darf man auch als Nicht-Gewinnerin stolz sein.

Erik:
Du hast ja gerade Janna schon erwähnt. In ihrer Dankesrede für den „Seraph“ hat sie ihrem Autorenkollektiv, der „Märchenspinnerei“ gedankt. Du bist ja ebenfalls Mitglied in solchen Gruppierungen, zum Beispiel dem „Nornennetz“, einer Vereinigung phantastischer Autorinnen. Welche Vorteile bietet die Mitgliedschaft in Autorenvereinigungen und warum engagierst du dich in ihnen?

Nora:
Es ist generell toll, mit Kolleginnen zu arbeiten und keine Einzelkämpferin zu sein. Man sitzt ja zuhause viel allein am Schreibtisch und hat dann die Wahl: Entweder man bleibt Einzelkämpferin und sieht andere nur als Konkurrenz, oder man bündelt die Kräfte, sodass alle davon profitieren, und die eigenen Leser auch die Bücher anderer Autoren entdecken können. Die Welt ist nicht klein, sondern hat Platz für mehrere Autoren. Auch das Arbeiten ist angenehmer und die Zusammenarbeit macht Spaß und bringt einem persönlich viel. Im Nornennetz organisiere ich mich zudem, da es ein Kollektiv von Frauen ist. Wenn es um Probleme von Frauen – nicht nur, aber auch in dieser Branche – geht, kann es wichtig sein, eine andere Frau im eigenen Rücken zu haben. Mir ist es wichtig, dass es dort Leute gibt, denen ich diese Probleme berichten kann, Menschen, die mir zuhören und helfen. Deshalb bin ich vor allem im Nornennetz.

Erik:
Wie bist du zum Schreiben gekommen?

Nora:
Ich habe sehr früh damit angefangen, kann aber nicht genau sagen, ob es im Kindergarten oder bereits in der Schule war. Erst als ich etwa vierzehn Jahre alt war, ist mir aber wirklich bewusstgeworden, dass ich Romane schreiben möchte. Dabei ist lange Zeit nichts Verwertbares bei rumgekommen, bis auf 300 Seiten einer Trilogie. Vielleicht schreibe ich sie irgendwann komplett neu. Mit 17 oder 18 Jahren hatte ich dann meine ersten Veröffentlichungen und bin aktiv in Autorenforen gegangen. Das Schreiben hat mich schon immer begleitet, war immer in mir drin. Bereits bevor ich schreiben konnte, habe ich mit Stempeln eigene Geschichten „gemalt“, und habe Märchen geliebt. Mein Vater hat mir zudem als Kind öfters Tolkien vorgelesen.

Erik:
Du hast ja gerade deine ersten Veröffentlichungen angesprochen. Wenn ich nichts übersehen habe, sind ja all deine Veröffentlichungen bisher im Fantasy-Genre erfolgt. Kannst du dir vorstellen, auch irgendwann mal andere Genres zu erkunden und in ihnen zu veröffentlichen?

Nora:
Ja, das kann ich mir absolut vorstellen. Ich schreibe dunkle Phantastik, mag alles, was phantastisch ist und einen dunklen Touch hat. Gerade schreibe ich zum Beispiel an einer Science-Fiction-Geschichte und würde auch gern mal Steampunk schreiben. Ich könnte mir auch vorstellen, etwas Humoristisches zu schreiben und habe in dem Genre bereits mit einer Kurzgeschichte mal einen Wettbewerb gewonnen, was mich sehr überrascht hat. Ich probiere mich gern aus und es wird noch viel Neues von mir kommen. Ich weiß aber mit Sicherheit, dass ich nie Millionärs-Romanzen schreiben werde.

Erik:
Hast du dich bewusst für den Weg des Selfpublishing entschieden oder es auch bereits bei Verlagen versucht? Und planst du für die Zukunft, weiterhin Indie-Autorin zu sein, oder hast du gegebenenfalls Interesse, als reine Verlags- oder auch als Hybridautorin mit Verlagen zusammenzuarbeiten?

20180316_170205Nora:
Mein erstes Galgenmärchen war „Wolfssucht“, damit habe ich es nicht bei Verlagen versucht. Ich hatte es zwar ursprünglich für eine Verlagsausschreibung geschrieben, aber der Verlag ist damals verschwunden. Ich mochte die Story jedoch gern und fand das entsprechend schade. Ich kannte damals bereits mehrere Selfpublisher und habe damit geliebäugelt, da man so komplett unabhängig sein kann. Da „Wolfssucht“ eine Novelle war, tat es nicht weh, das Selfpublishing auszuprobieren. Damals gab es den Begriff der „Galgenmärchen“ noch nicht. Da es mir so viel Spaß gemacht hat, wollte ich aber dann eine Reihe daraus machen. So sind die „Galgenmärchen“ entstanden, die ich weiterhin als Independent-Titel veröffentlichen möchte. Ich sehe mich selbst jedoch als Hybridautorin. Verlag und Selfpublishing sind für mich zwei verschiedene Medien, gewisse Leser geben im Verlag und Buchhandel anderen Titeln eher eine Chance als beim Selfpublishing, und umgekehrt. Letzteres gibt mir die Möglichkeit, mich als Autorin zu versuchen und Titel, in denen Herzblut steckt, auszuprobieren. Es gibt aber auch Titel, die ich gern im Verlag sehen würde, wie meine Science-Fiction-Geschichte oder ein romantisches High-Fantasy-Projekt.

Erik:
Die Bücher deiner „Galgenmärchen“-Reihe, die du eben angesprochen hast, sind ja dunkelfantastische Märchenadaptionen, die zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges spielen. Wie bist du auf diese Idee gekommen, und was macht diese Kombination für dich besonders faszinierend?

Nora:
Ich wollte ein Setting haben, das sich wie das „dunkle Mittelalter“ anfühlt, aber noch nicht so ausgelutscht ist. Durch die Realverfilmung von „Krabat“ bin ich auf diese Zeit gekommen, da sie genau das Gefühl transportiert hat, was ich für meine Geschichten wollte. Es ist eine Zeit des Umbruchs, die stark mit Aberglauben und Religionskämpfen behaftet ist. Damals gab es eine starke Hexenverfolgung und die Pest, die als Strafe Gottes galt. Gleichzeitig gab es viele Innovationen wie Handfeuerwaffen, die das Kriegswesen komplett verändert haben. Ich fand diesen Wechsel von der mittelalterlichen Welt hin zur Moderne faszinierend. Wenn man die Märchen mit dieser Zeit verknüpft, kann man das Gefühl des dunkelromantischen Mittelalters mit der Moderne so problemlos verbinden.

Erik:
Du hast ja oben bereits einen kurzen Einblick in deine Zukunftsplanung als Autorin gegeben. Kannst du uns etwas näher beschreiben, auf was für Projekte von dir wir uns in Zukunft freuen können?

20180316_170145Nora:
Mein Science-Fiction-Projekt läuft unter dem Arbeitstitel „Roboter Engel“ und spielt in der fernen Zukunft nach einem atomaren Krieg, der die Welt fast komplett vernichtet hat. Es existiert nur noch ein Staat, der sogenannte „Weltstaat“, in dem Roboter den Menschen dienen. Mein Protagonist ist ein Roboter, der durch einen Baufehler in der Lage ist, die Gefühle von Menschen nachzuvollziehen. Eigentlich werden solche Roboter vom System vernichtet, ihm gelingt es aber, seinen Defekt zu verstecken. Eines Tages wird er jedoch aufgedeckt und muss fliehen. Der Roboter trifft dann auf weitere ausgestoßene Menschen und Massen, die sich vor der Gesellschaft verstecken. Daraus entwickelt sich eine große Geschichte, die sich letztendlich um den Fall des Staates dreht.

Mein Romantasy-Projekt „Die Schönheit des Biests“ spielt in einer abgeschlossenen Fantasy-Welt und dreht sich um einen Helden, der eines Tages die Welt retten soll. Diese Prophezeiung erfüllt sich jedoch nicht, er scheitert. Thema der Geschichte ist, was mit gefallenen Helden passiert. Das Mädchen, mit dem er die Welt retten sollte, erkennt ihn nach seinem Fall nicht mehr. Die weitere Handlung dreht sich darum, wie die beiden dennoch in den Wirren des Krieges zueinanderfinden, und was wahre Liebe ist.

Erik:
Wie viele ja sicherlich bereits wissen, bist du auch als erfolgreiche Sängerin unterwegs. Wie schaffst du es, beides unter einen Hut zu bringen? Und wenn du dich für eine Sache entscheiden müsstest: Was würdest du wählen?

Nora:
Meine Proben laufen komplett getrennt vom Schreiben. Ich habe To-Do-Listen, die für jede Aktivität Prioritätspunkte haben. Jeder Tag hat einige Stunden, die Zeit fürs Schreiben oder für die Musik enthalten. Je nachdem, wo gerade die Priorität liegt, arbeite ich dann daran. Man muss dafür sehr flexibel sein. Es gibt auch Zeiten, wo ich nur schreibe oder mich rein um die Musik kümmere. Wenn ich mich entscheiden müsste, würde ich das Schreiben wählen. Ich könnte eher die Musik abschalten als das Schreiben, da es mich noch mehr erfüllt. Situationen, die man bei der Musik erlebt, kann man auch im Schreiben wiederfinden. Zum Beispiel ähneln Lesungen Konzerten, und auch das Verfassen von Songtexten kann man als lyrische Betätigung sehen.

Erik:
Welche Autoren haben dich in deinem literarischen Werdegang am stärksten beeinflusst und inspiriert?

Nora:
Edgar Allen Poe und die Schwarze Romantik haben großen Einfluss auf mich ausgeübt. Vieles, was ich mache, geht in diese Richtung. Ich mag die großen Worte, das Dunkelromantische. Bei mir geht es nicht nur düster und kalt zu wie beim Horror, sondern auch um Todessehnsucht und Androiden. An Poe habe ich schriftstellerisch bewundert, dass man keinen großen Wortschatz braucht, um seine Werke toll zu finden. Aber wenn man sich bildet, genau anschaut, was er macht, merkt man, dass kein Wort zufällig gewählt ist. Es fühlt sich nicht zu trocken, nicht zu groß an. Viele haben das Vorurteil, dass hohe Literatur anstrengend ist. Bei Poe ist sie aber spannend und faszinierend, das können nur wenige Autoren. Das ist der Anspruch, den ich auch an mich habe. Es wäre toll, wenn es bei meinen Texten genau so wäre. Darüber hinaus bin ich von Kafka und dem Kafkaesken beeinflusst. Als Teenager habe ich sein Gesamtwerk gelesen, ich musste es überall hin mitnehmen. Auch habe ich das Gesamtwerk von Hans Christian Andersen gelesen. Derzeit schreibe ich zwar Adaptionen von Grimms Märchen, doch haben mich seine Kunstmärchen sehr beeinflusst, da sie über einfache Volkserzählungen weit hinausgehen.

Erik:
Plottest du deine Romane im Voraus oder bist du eher ein Discovery-Writer?

Nora:
Ich bin ein totaler Plotter. Ich kann nicht mal eine Kurzgeschichte beginnen, wenn ich nicht bereits etwas geplottet habe. Natürlich kommen im Schreibprozess noch Ideen und ich ändere entsprechend, aber ich plotte und recherchiere viel im Voraus.

Erik:
Magst du den Lesern zum Abschluss noch einen Buchtipp mitgeben? Was MUSS man unbedingt gelesen haben, außer dem Gesamtwerk von Kafka?

Nora:
Ich habe „Im Bann der zertanzten Schuhe“ von Janna Ruth neulich gelesen und fand es großartig. Besonders schön für mich war, dass es typische Fantasy-Elemente aufgegriffen hat, aber darüber hinausgeht. So spielen Kriegstraumata eine große Rolle, und das schwierige Thema ist sehr gut aufgearbeitet worden. Ich habe zudem selten eine Romance gelesen, die nicht nur reiner Fanservice ist, sondern auch wirklich funktioniert. Bei Janna Ruth war die Liebesgeschichte nicht drin, weil sie zwingend rein musste, sondern weil sie Sinn gemacht hat und die Figuren dadurch rund geworden sind.

Erik:
Das muss ich unbedingt lesen! Nochmal vielen Dank an dich Nora, dass du dir die Zeit für das Interview genommen hast. Ich wünsche dir weiterhin viel Spaß auf der Messe und natürlich viel Erfolg für deine aktuellen und zukünftigen Projekte.

Nora:
Vielen Dank!

Und wer nun genauso gespannt auf Noras Bücher ist wie ich, für den habe ich tolle Neuigkeiten. Nicht nur erscheint im Rahmen der Challenge „Ran an den Sub mit Ava 2018“ in wenigen Tagen meine Rezension zu „Kindsräuber“, sondern Nora hat für Euch in den nächsten Tagen auch ein tolles Gewinnspiel vorbereitet. Daher schaut doch öfters bei mir oder auf ihrer Seite vorbei, damit Ihr es nicht verpasst. Es lohnt sich!