Vor kurzem habe ich auch „Im Tal“ von Tommie Goerz gelesen. Das Buch ist 2023 im ars vivendi Verlag veröffentlicht worden und als Gegenwartsliteratur einzuordnen. Vielen Dank an dieser Stelle auch an den Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars im Rahmen einer Leserunde auf Lovelybooks.de.
Im Sommer 1897 erblickt Anton Rosser auf einem abgelegenen Hof in der Fränkischen Schweiz das Licht der Welt – ein dunkles Licht mit schwarzen Schatten, die ihn sein Leben lang begleiten. Er lebt dort abgeschieden und allein, bis ihn im Winter 1968 ein Wanderer auffindet, vornübergesunken an seinem Küchentisch, erfroren. Der Arzt bescheinigt einen natürlichen Tod, doch bleiben Fragen.
„Im Tal“ ist der neueste Roman des mit dem Friedrich-Glauser-Preis und dem Crime Cologne Award prämierten Autors Tommie Goerz, der für das Buch sein Genre verlassen hat, auch wenn es in „Im Tal“ durchaus zu Verbrechen und Gewalt kommt. Zudem ist der Roman durchaus historisch, zeichnet die Ereignisse der Weltkriege, insgesamt grob die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts nach. Dennoch ist das Buch auch nicht als historischer Roman, sondern als Gegenwartsliteratur einzuordnen, eine Eingruppierung, die so auch auf Verkaufsplattformen übernommen worden ist.
Die Handlung ist abwechslungsreich und durchaus spannend, wenn auch teils vorhersehbar. Tommie Goerz vermischt hier viele verschiedene handlungstreibende Elemente wie Liebe und Hass, Krieg, Einsamkeit und autoritäre Erziehung zu einem tragisch-düsteren Gesamtpaket, das einem gelegentlich Schauer über den Rücken laufen lässt. Dabei ist die Handlung oftmals verknappt, aufs Wesentliche reduziert, sodass auf den wenigen Seiten fast 70 Jahre am Leser vorbeiziehen, mal schneller, mal langsamer, aber unaufhaltsam, so wie das Leben spielt. Lediglich das Ende fällt hier etwas ab, verbleibt einerseits im Unklaren und eskaliert andererseits.
Das Setting ist gelungen. So entführt der Autor den Leser nicht nur in die fränkische Schweiz auf ein abgelegenes Gehöft, sondern auch in die Schützengräben des ersten Weltkriegs, auf die Flöße der Holztreidler und zur Verteidigung von Monte Cassino – um nur einige der relevanten Stationen aus Tonis Leben zu nennen, die der Leser hautnah miterleben kann – auch wenn es in der Regel keine schönen Erlebnisse sind.
Etwas zu den einzelnen Figuren zu sagen, ist fast nicht möglich – schließlich nimmt der Roman mit Ausnahme von Toni keine andere Figur wirklich ernst, lässt alle im Schatten verbleiben, selbst Marga und Maria spielen zwar in Tonis Leben wesentliche Rollen, handeln aber kaum aktiv oder kommen kaum zu Wort. Und selbst zu Toni verbleibt eine Distanz, ist er doch so von der Gesellschaft und jeglichen menschlichen Konventionen abgeschnitten, dass man sich nur schwerlich mit ihm identifizieren kann. Der Schreibstil von Tommie Goerz ist dabei eindringlich und prägnant und lässt das Kopfkino sofort anlaufen.
Die Buchgestaltung ist solide. Lektorat, Korrektorat und Buchsatz sind sauber und unauffällig, der Buchdeckel ist auf Cover und Buchrücken hochwertig geprägt und mit farbigen Coverinnenseiten versehen, insgesamt aber sehr eintönig und zurückhaltend, genau wie das Titelmotiv, das zwar inhaltlich durchaus lose Bezug zur Handlung nimmt, aber eher nicht überzeugen kann.
Mein Fazit? „Im Tal“ ist ein im Wesentlichen gelungener Roman der Gegenwartsliteratur, der vor allem durch sein Setting und die eindringliche Atmosphäre punkten kann, zum Ende hin aber auch leicht abbaut. Für Leser des Genres bedenkenlos zu empfehlen – ab einem Lesealter von 16 Jahren.