[Buchgedanken] Mariana Enriquez: „Unser Teil der Nacht“

Vor kurzem habe ich „Unser Teil der Nacht“ von Mariana Enriquez gelesen. Das Buch ist 2022 im Tropen Verlag, J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, erschienen, die Originalausgabe wurde 2019 unter dem Titel „Nuestra parte de noche“ im Verlag Editorial Anagrama, Barcelona, veröffentlicht. Vielen Dank an den Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars im Rahmen einer Leserunde auf Lovelybooks.de. Für die Übersetzung zeichnen Silke Kleemann und Inka Marter verantwortlich.

Ein Vater und sein Sohn fahren quer durch Argentinien, als wären sie auf der Flucht. Wohin wollen sie? Vor wem fliehen sie? Es sind die Jahre der Militärjunta: Menschen verschwinden spurlos, überall lauert Gefahr. Sein Vater versucht den jungen Gaspar vor dem Schicksal zu schützen, das ihm zugedacht ist, seit seine Mutter unter ungeklärten Umständen gestorben ist. Bei einem Unfall, der vielleicht keiner war.  Wie sein Vater Juan soll Gaspar einem Geheimbund, genannt der Orden, als Medium dienen. Mit grausamen Ritualen versuchen sie, dem Geheimnis des ewigen Lebens auf die Spur zu kommen. Doch der Preis ist hoch und der körperliche und geistige Verfall schnell und unerbittlich, wie Juan weiß. Eine scheinbar aussichtslose Flucht beginnt, denn der Einfluss des Ordens kennt keine Grenzen.

Bei „Unser Teil der Nacht“ fällt bereits die Genrezuordnung schwer. So balanciert das Buch auf der Grenze zwischen okkultem Thriller und Historical Mystery, im Spannungsfeld von Gegenwartsliteratur und mythologischer Abhandlung. Trotz der düsteren Themen liest sich der Roman dennoch relativ gut und schnell – auch dank des hochathmosphärischen Schreibstils der Autorin.

Dabei brilliert der Roman eindeutig durch sein Setting. Mariana Enriquez nimmt den Leser mit auf eine Reise in das von Militärdiktatur, aufstrebenden Protesten und Großgrundbesitzern geprägte Argentinien der Jahre von 1960 bis 1997. Dabei lernt der Leser tief im Land verwurzelte Natur- und Totenkulte, okkulte Praktiken und Rituale kennen, die einen erschauern lassen.

Die Handlung ist düster und geheimnisvoll und wird in zeitlichen Sinnabschnitten – die aber nicht chronologisch angeordnet sind – erzählt. Dabei wechseln die Erzählperspektiven bunt durch, einige der Abschnitte haben auch Längen. Hierbei überzeugen vor allem der erste Abschnitt aus Sicht von Juan und der spätere von Rosario, während die Abschnitte von Gaspar – und damit leider auch das Ende – eher blass und teils unlogisch bleiben. Dies schlägt auch auf die Gestaltung der Protagonisten durch. Neben Juan und Rosario glänzen auch noch Tali und Florence.

Die Buchgestaltung ist solide, Lektorat, Korrektorat und Buchsatz haben sauber gearbeitet, das Titelmotiv ist intensiv und bestechend. Leider zieht es sich nicht über den gesamten Umschlag, der Bruch zum Buchrücken ist heftig, Buchrücken, Coverrückseite und das Buch unter dem Umschlag sind insgesamst sehr schlicht.

Mein Fazit? „Unser Teil der Nacht“ ist ein unglaublich athmosphärischer, düsterer mythologischer Roman mit einem tollen Setting, spannenden Charakteren aber auch einigen Schwächen und Längen in der Handlung. Dennoch bedenkenlos zu empfehlen – allerdings nicht unter einem Lesealter von 18.

[Buchgedanken] Sandra Karin Foltin: „Pilgrims Oak: Das Jahr der verschwundenen Mädchen“

Vor einiger Zeit habe ich „Pilgrims Oak: Das Jahr der verschwundenen Mädchen“ von Sandra Karin Foltin beendet. Der Roman ist 2020 im Selfpublishing erschienen und dem Genre Historical Fantasy / Historical Mystery zuzurechnen. Vielen Dank an dieser Stelle noch einmal an die Autorin für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplares.

1790 lebt die fünfzehnjährige Margaret auf Pilgrims Oak. Als auf benachbarten Plantagen Sklavenmädchen spurlos verschwinden, soll ein Gärtner verurteilt werden. Doch Maggie glaubt nicht an seine Schuld. Nachdem auch ein befreundetes Mädchen vermisst wird, versuchen sie und ihre Freundin Lizzy herauszufinden, was mit den Kindern passiert. Unterstützt werden beide von Lizzys Mutter, einer Hoodoopriesterin. Die beiden Heranwachsenden lernen fremdartige Wesen kennen, Geister, die um Hilfe bitten, und gefangene Seelen. Dass Maggie sich überdies in den Verlobten ihrer Schwester verliebt, macht die Jagd nach dem Täter nicht leichter. Die Freundinnen geraten immer tiefer in mysteriöse Geschehnisse und müssen bald um ihr eigenes Leben sowie das ihrer Lieben bangen.

„Pilgrims Oak“ ist – um das vorwegzunehmen – ein im Wesentlichen gelungenes Buch, eine Reise in die Geschichte der USA zur Zeit der Sklaverei und bietet interessante Einblicke in die Kultur und Überzeugungen der Hoodoo-Anhänger. Dabei werden insbesondere die Unterschiede innerhalb der Gesellschaft ausdrucksstark porträtiert, genau wie das damals vorherrschende Rollenmodell der Frau.

Die in zwei Zeitebenen spielende Handlung ist in aller Regel spannend und bietet auch die ein oder andere unerwartete Wendung. Trotz der durchaus auch überraschenden Geschehnisse am Ende der Handlung, hätte auf die zweite, aktuellere, Zeitebene aus meiner Sicht aber verzichtet werden können – der kleine Handlungstwist am Ende kompensiert die Spoiler des ersten Kapitel für die spätere Handlung nicht. Und auch der Ausgang der Love Story vermag mich nicht endgültig zu überzeugen – zwar historisch sicherlich korrekt, hätte man hier durchaus auch andere Lösungen finden können.

Das Setting hingegen brilliert auf ganzer Ebene. Eine alte Baumwollplantage in den Sümpfen, eine geschichtsträchtige Eiche – die Autorin setzt dem Leser dank ihres flüssigen Schreibstils Bilder in den Kopf, lässt ihn sich nach Louisiana träumen und dem Alltag entfliehen.

Auch die Charaktere sind im Wesenlichen dreidimensional angelegt, haben Stärken und Schwächen, Ziele und Motive. Dabei überzeugen mich vor allem Lizzy und Graham sowie Mr. Avery und Heddi.

Die Buchgestaltung ist solide. Lektorat und Korrektorat sind nur kleinere Dinge durchgerutscht, die sich noch im Rahmen halten und den Lesefluss nicht mindern. Der Buchsatz bietet allerdings mangels fehlender Silbentrennung kein einheitliches Gesamtbild – und auch der Sinn hinter drei verschiedener Trennern (*, ** und ***) erklärt sich mir nicht und verwirrt. Auch das Cover bietet Stärken und Schwächen. So ist positiv zu bewerten, dass ein klarer Bezug zur Handlung da ist und sich das Grundbild über den kompletten Buchumschlag zieht. Allerdings ist das Motiv insgesamt etwas zu düster und die fehlenden Kontraste machen es schwer erkennbar

Mein Fazit: „Pilgrims Oak: Das Jahr der verschwundenen Mädchen“ ist ein im Wesentlichen überzeugender historischer Roman mit sehr ausgeprägten Fantasy-/Mystery-Aspekten, der vor allem durch sein tolles Setting brilliert und nur kleinere Schwächen bietet, die das Lesevergnügen kaum schmälern. Für Liebhaber von Mysteryromanen bedenkenlos zu empfehlen – ab einem Lesealter von 16.