[Buchgedanken] Renate Silberer: „Hotel Weitblick“

In den letzten Tagen habe ich „Hotel Weitblick“ von Renate Silberer gelesen. Der Roman ist 2021 in der Verlag Kremayr & Scheriau GmbH & Co. KG erschienen und als Kammerspiel dem Genre „Gegenwartsliteratur“ zuzuordnen. Vielen Dank an dieser Stelle an den Verlag und die vermittelnde Agentur Buchcontact für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars.

Vier Führungskräfte einer Werbeagentur, ein Wochenende in einem abgelegenen Hotel: Wer den Geschäftsführer-Posten bekommen soll, entscheidet der von Selbstzweifeln geplagte Consulter Marius Tankwart. Seine Auswahlseminare sind berühmt, doch der erbitterte Kampf der Manager untereinander macht eine gemeinsame Lösung unmöglich, und als er im Verhalten der Teilnehmer schließlich die Erziehungsmethoden einer Nazi-Pädagogin wiedererkennt, muss er eine Entscheidung treffen, von der sein eigenes Überleben abhängt.

„Hotel Weitblick“ ist der Debütroman der prämierten Lyrikerin und Prosaistin Renate Silberer und wurde über mehrere Projekt- und Arbeitsstipendien gefördert. Dabei spürt man die fachliche Grundlage der Autorin auf jeder Seite, ist doch kein Wort zuviel, kein unnötiges Beiwerk im Text vorhanden. Sätze werden unbeendet gelassen auf wörtliche Rede wird ganz verzichtet – Renate Silberer schreibt ungemein verdichtet, was das Lesen erschwert, dem Leser aber einen intensiven, zielgerichteten Einblick in die Psyche der einzelnen Protagonisten erlaubt.

Dabei liegt der Fokus auch klar auf der immer stärkeren Eskalationsspirale im Verhalten der Protagonisten. Als Kammerspiel mit begrenzten Personen und einem einzigen Handlungsort angelegt, steigert sich der Wahn der Charaktere ins Absurde, wird das selbstzerstörerische Verhalten jedes einzelnen Seminarteilnehmers – die nach außen durchaus normale und erfolgreiche Leben führen – sichtbar und erschreckend real. Die von der Autorin hiermit beabsichtigte Kritik an der kapitalistischen Leistungsgesellschaft verpufft jedoch etwas vor dem Hintergrund, dass weder Lösungsansätze noch Auswege präsentiert werden, berücksichtigt man doch, dass der Hauptprotagonist trotz Ausbruch aus dem Käfig der Leistungszwänge nicht minder verwirrt, unsicher und eskapistisch daherkommt, ja in seiner eigens auferlegten Mission nicht einmal merkt, welchen Schaden er anrichtet.

Darüber hinaus fordert – und verdient – „Hotel Weitblick“ die ungeteilte Aufmerksamkeit des Lesers, fällt es doch bei den schnellen Perspektivwechseln, dem Fließtext und der ungemein verdichteten Sprache schwer, der – zugegebenermaßen nicht sehr ausführlichen – Handlung jeweils aus der richtigen Perspektive zu folgen, die jeweiligen Gedanken dem jeweils richtigen wirren Geist zuzuordnen. Kein Buch für nebenbei – aber eines, das zum Nachdenken anregt.

Die Buchgestaltung hingegen übereugt auf ganzer Linie. Lektorat, Korrektorat und Buchsatz haben sauber gearbeitet, das Cover ist stilistisch schön und sehr hochwertig geprägt. Darüber hinaus macht der ganze Buchumschlag einen sehr gelungenen Eindruck und das Buch an und für sich macht auch ohne Umschlag eine tolle Figur.

Mein Fazit? „Hotel Weitblick“ ist ein gelungener Debütroman, der mit der sprachlichen Präzision einer Lyrikerin das Seelenleben der Protagonisten auf eindrucksvolle Weise seziert, den Leser aber auch etwas ratlos und nachdenklich zurücklässt. Für Leser, die anspruchsvolle Texte nicht scheuen, bedenkenlos zu empfehlen – ab einem Lesealter von 16.