[Buchgedanken] Johannes Laubmeier: „Das Marterl“

Vor einiger Zeit habe ich „Das Marterl“ von Johannes Laubmeier gelesen. Das Buch ist 2022 im Tropen Verlag, J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, erschienen und der Gegenwartsliteratur zuzuordnen. Vielen Dank an dieser Stelle auch an den Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars im Rahmen einer Leserunde auf Lovelybooks.de.

Nach Jahren der Abwesenheit fährt der Erzähler zurück in den Ort seiner Kindheit in Niederbayern. In der kleinen Stadt, die ihm erscheint, als wolle sie mit Folklore, Starkbierfesten und den Denkmälern bedeutsamer Männer die Zeit anhalten, versucht er, sich an seinen Vater zu erinnern. Und an den Verkehrsunfall, bei dem der Vater vor zehn Jahren starb. Doch ein Ort hat nie nur eine Gegenwart. Zwischen die Geschichte des Erzählers drängt sich das Leben eines Jungen. Die Angst vor einem Monster in einem Berg und ein fliegender Bär. Eine Liebe zur Blasmusik und die zu einer Frau. Kann die Erinnerung helfen, mit der Endlichkeit fertigzuwerden? Kann eine Heimkehr jemals gelingen oder muss sie vielleicht ein Mythos bleiben? So wie der Meeresforscher mit Taucherbrille und Regenjacke an einem niederbayerischen Bahnhof.

„Das Marterl“ beschreibt die Rückkehr des Erzählers in den bayrischen Ort „A.“, der dem realen Ort Abensberg entspricht oder zumindest in wesentlichen Teilen an diesen angelehnt ist. Ebenso entspricht der Erzähler sicherlich in ganz wesentlichen Zügen, wenn nicht vollständig, dem Autor, auch wenn nie klargestellt wird, ob es sich um einen autobiografischen Roman, einen fiktionalen oder um eine Mischung aus beidem handelt.

Dabei besticht der Roman vor allem durch die Beschreibung des ländlichen Lebens, der bayrischen Traditionen und Bräuche, die der Erähler als Rückkehrer aus England neu, fast wie ein Außenstehender, erlebt und über die stets mit einem Augenzwinkern humorvoll berichtet wird.

Die Handlung wird dabei in zwei Zeitebenen erzählt: der Gegenwart und der Erinnerung, wobei letztere vage ist und nicht immer der Realität entspricht. Auch wenn man sich mit der Zeit an die Wechsel zwischen den Ebenen gewöhnt, hätte ich mir hier doch eine stärkere Abgrenzung, vielleicht auch visuell durch den Satz, gewünscht, um das noch deutlicher zu machen.

Der Roman ist dabei jedoch mehr Panorama, mehr eine Momentaufnahme des Lebens des Protagonisten, entwickelt sich doch keine rechte, zielführende Handlung, sondern vielmehr eine Sinnsuche in Vergangenheit und Zukunft. Auf die eingestreuten Parallelen zum Leben von Charles Olson – und dessen eingestreute Verse und Gedichte – hätte man meines Erachtens aber verzichten können, tragen diese doch nichts Sinnvolles zur Handlung bei – eine Übersetzung aus dem Englischen fehlt hier ebenso.

Die Buchgestaltung ist im Wesentlichen gelungen. Lektorat und Korrektorat haben sauber gearbeitet, der Buchsatz ist fehlerfrei und ihm gebührt Lob für den Beginn jedes Kapitels auf einer ungeraden Seite, wenn auch der Einbau der Gedichte von Olson und sonstiger Zitat etwas mehr Mut vertragen hätte. Das Covermotiv ist interessant und nimmt Bezug zur Handlung, der restliche Buchumschlag und das darunterliegende Buch sind schlicht gestaltet.

Mein Fazit: „Das Marterl“ ist eine Sinnsuche, ein Roman der Gegenwartsliteratur ohne große Handlung, der gerade deswegen mit seinem Humor und der Beschreibung des bayrischen Lebensgefühls glänzen kann. Für Liebhaber des Genres bedenkenlos zu empfehlen.

Von Erinnerungen und Geschwisterbanden | Doppelte Buchpost

Bevor es in den nächsten Tagen mit Rezensionen weitergeht, möchte ich Euch hier noch zwei Bücher zeigen, die mich vor kurzem als Rezensionsexemplare im Rahmen von Leserunden auf Lovelybooks.de erreicht haben – vielen Dank dafür allen Beteiligten. „Das Marterl“ von Johannes Laubmeier (Tropen Verlag) und „Geschwister sind wie Gummibärchen“ von Ursi Breidenbach und Heike Abidi (Penguin Verlag) beleuchten aus verschiedener Sicht Erinnerungen und familiäre Bande, Heimatgefühle und Emotionen und packen diese in ein Sachbuch über Geschwister und einen Roman über eine Heimkehr.

Habt Ihr Geschwister?

[Buchgedanken] Mariana Enriquez: „Unser Teil der Nacht“

Vor kurzem habe ich „Unser Teil der Nacht“ von Mariana Enriquez gelesen. Das Buch ist 2022 im Tropen Verlag, J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, erschienen, die Originalausgabe wurde 2019 unter dem Titel „Nuestra parte de noche“ im Verlag Editorial Anagrama, Barcelona, veröffentlicht. Vielen Dank an den Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars im Rahmen einer Leserunde auf Lovelybooks.de. Für die Übersetzung zeichnen Silke Kleemann und Inka Marter verantwortlich.

Ein Vater und sein Sohn fahren quer durch Argentinien, als wären sie auf der Flucht. Wohin wollen sie? Vor wem fliehen sie? Es sind die Jahre der Militärjunta: Menschen verschwinden spurlos, überall lauert Gefahr. Sein Vater versucht den jungen Gaspar vor dem Schicksal zu schützen, das ihm zugedacht ist, seit seine Mutter unter ungeklärten Umständen gestorben ist. Bei einem Unfall, der vielleicht keiner war.  Wie sein Vater Juan soll Gaspar einem Geheimbund, genannt der Orden, als Medium dienen. Mit grausamen Ritualen versuchen sie, dem Geheimnis des ewigen Lebens auf die Spur zu kommen. Doch der Preis ist hoch und der körperliche und geistige Verfall schnell und unerbittlich, wie Juan weiß. Eine scheinbar aussichtslose Flucht beginnt, denn der Einfluss des Ordens kennt keine Grenzen.

Bei „Unser Teil der Nacht“ fällt bereits die Genrezuordnung schwer. So balanciert das Buch auf der Grenze zwischen okkultem Thriller und Historical Mystery, im Spannungsfeld von Gegenwartsliteratur und mythologischer Abhandlung. Trotz der düsteren Themen liest sich der Roman dennoch relativ gut und schnell – auch dank des hochathmosphärischen Schreibstils der Autorin.

Dabei brilliert der Roman eindeutig durch sein Setting. Mariana Enriquez nimmt den Leser mit auf eine Reise in das von Militärdiktatur, aufstrebenden Protesten und Großgrundbesitzern geprägte Argentinien der Jahre von 1960 bis 1997. Dabei lernt der Leser tief im Land verwurzelte Natur- und Totenkulte, okkulte Praktiken und Rituale kennen, die einen erschauern lassen.

Die Handlung ist düster und geheimnisvoll und wird in zeitlichen Sinnabschnitten – die aber nicht chronologisch angeordnet sind – erzählt. Dabei wechseln die Erzählperspektiven bunt durch, einige der Abschnitte haben auch Längen. Hierbei überzeugen vor allem der erste Abschnitt aus Sicht von Juan und der spätere von Rosario, während die Abschnitte von Gaspar – und damit leider auch das Ende – eher blass und teils unlogisch bleiben. Dies schlägt auch auf die Gestaltung der Protagonisten durch. Neben Juan und Rosario glänzen auch noch Tali und Florence.

Die Buchgestaltung ist solide, Lektorat, Korrektorat und Buchsatz haben sauber gearbeitet, das Titelmotiv ist intensiv und bestechend. Leider zieht es sich nicht über den gesamten Umschlag, der Bruch zum Buchrücken ist heftig, Buchrücken, Coverrückseite und das Buch unter dem Umschlag sind insgesamst sehr schlicht.

Mein Fazit? „Unser Teil der Nacht“ ist ein unglaublich athmosphärischer, düsterer mythologischer Roman mit einem tollen Setting, spannenden Charakteren aber auch einigen Schwächen und Längen in der Handlung. Dennoch bedenkenlos zu empfehlen – allerdings nicht unter einem Lesealter von 18.