[Buchgedanken] Nele Pollatschek: „Dear Oxbridge: Liebesbrief an England“

In den letzten Tagen habe ich „Dear Oxbridge: Liebesbrief an England“ von Nele Pollatschek gelesen. Das Buch ist 2020 im Verlag Galiani, Berlin, einem Tochterverlag von Kiepenheuer & Witsch, erschienen und enthält eine Sammlung biografischer Anekdoten. Vielen Dank an dieser Stelle auch dem Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplares.

Als Nele Pollatschek am 23. Juni 2016 nach Oxford unterwegs ist, wo sie jahrelang studiert hat, ahnt sie nicht, dass sie am nächsten Tag zum Brexit Profiteur wider Willen werden wird. Über Nacht löst sich wegen des Währungszerfalls ihr Studienschuldenberg fast in Luft auf – gleichzeitig aber durchlebt sie den Schock ihres Lebens: Die Briten wollen mit Europäern wie ihr nichts mehr zu tun haben.41NYw3ie1AL._SX312_BO1204203200_

Wenn jemand eine Obsession hat, dann ist es schwer, ihn davon abzubringen. In Nele Pollatscheks Fall heißt die Obsession seit ihrer Jugend Oxbridge. Nichts konnte sie abhalten, dort hinzukommen, wo ihre Helden, die mitunter exzentrischen englischen Geistesriesen, studierten. Irrsinnige Anstrengungen nimmt sie auf sich, um dorthin vorzudringen, erleidet das Hochstaplersyndrom, als es endlich gelingt, lernt das bizarre Verhalten der englischen Eliten kennen, kommt der Abwasserwirtschaft und dem Pillenkonsum der Briten auf die Schliche, verbringt die Nächte zwischen High-Society-Partys und Bibliothek. Gerade denkt sie, sie gehöre dazu – da erfolgt dieser Schlag.

Mit „Dear Oxbridge“ gelingt es Nele Pollatschek, den Leser mit auf eine Reise in die Welt der englischen Eliteuniversitäten zu nehmen, auch wenn der Anlass dafür, ein trauriger ist. Denn erst durch den Brexit als Auslöser, als Katalysator, als traumatischer Einschnitt und Anlass für die Geschichte erzählt die Autorin von ihrem Weg nach Oxbridge – der Kaderschmiede, der auch die wichtigsten Figuren der britischen Geschichte entstammen.

Pointiert, witzig aber auch sehr bildhaft – Nele Pollatscheks Schreibstil vermag von Anfang an zu überzeugen und den Leser zu fesseln, egal ob sie von verstopften Toiletten oder von weltberühmten Partys spricht. Dabei ist es gerade auch das Eingeständnis des eigenen Scheiterns, das das Buch so lesenswert macht und es dem Leser ermöglicht, sich mit der Erzählerin zu identifizieren.

Kulturelle und sprachliche Unterschiede, verschiedene Bildungssysteme und wissenschaftliche Ansätze – Nele Pollatschek vergleicht in ihrem Werk auch die Lebensweisen in Deutschland und Großbritannien, hält dem Leser einen Spiegel vor und beschreibt, dass anders nicht gleich schlecht ist. So ist „Dear Oxbridge“ nicht nur ein Liebesbrief an England, sondern auch ein Einstehen für Toleranz und Vielfalt, ein Plädoyer, dass jeder auf seine eigene Art anders und daher normal ist. Und als Absolvent der Universität Heidelberg freut es mich natürlich, dass es gerade meine Alma Mater war, die der Autorin schlussendlich den Weg nach Oxbridge eröffnet hat.

Auch die Buchgestaltung überzeugt auf ganzer Linie. Satz, Lektorat und Korrektorat haben sauber gearbeitet, insbesondere möchte ich lobend anmerken, dass jede Anekdote auf einer ungeraden Seite beginnt – was heute leider viel zu häufig ignoriert wird. Das Cover ist kräftig in der Farbe und damit ein Eyecatcher, vom Design her insgesamt aber unauffällig.

Mein Fazit? „Dear Oxbridge: Liebesbrief an England“ ist ein humorvolles und pointiertes Porträt eines Landes, dessen Kultur, Menschen und Eigenarten. Dabei überzeugt vor allem Nele Pollatscheks prägnanter Schreibstil. Bedenkenlos zu empfehlen, und leider viel zu aktuell.

[Buchgedanken] Lukas Rieger, Josip Radovic: „Der Lukas Rieger Code“

Heute möchte ich mal ein etwas anderes, für mich ungewöhnliches Buch besprechen, dass ich im Rahmen einer Leserunde auf Lovelybooks gelesen habe. Vielen Dank auch an dieser Stelle an den Verlag für die Bereitstellung des Leseexemplars. „Der Lukas Rieger Code“ wurde von Josip Radovic in Zusammenarbeit mit Lukas Rieger geschrieben, und ist 2017 bei HarperCollins veröffentlicht worden. Es ist am ehesten als Künstlerbiographie einzuordnen.

51lrfgcanzl-_sx303_bo1204203200_Millionen Menschen, nicht nur in Deutschland, folgen im Internet Lukas Rieger auf Schritt und Tritt. Seine Youtube-Videos erfreuen sich größter Beliebtheit, seine Instagram- und Snapchat-Zahlen schießen durch die Decke. Selbst im Alltag kann er nicht einmal mehr Schuhe einkaufen, ohne von den Menschen erkannt zu werden. Doch wie hat er den Durchbruch geschafft? Was treibt ihn an, und was sind seine Ziele?

„Der Lukas Rieger Code“ ist ein privater Einblick in die Gedanken und Gefühle, in die Welt eines 18-jährigen Superstars. Er erzählt von seiner Familie, von seinem Leben – und vor allem, von seiner Musik, seinen Wünschen, seinen Träumen. Dem Leser wird ein interessanter Einblick hinter die Kulissen des Werdegangs eines Superstars, des „deutschen Justin Bieber“, gegeben. Es ist spannend zu sehen, wie zielstrebig Lukas bereits seit jungen Jahren seine Karriere verfolgt hat, welche Opfer er dafür gebracht und welche Hindernisse er aus dem Weg geräumt hat. Insbesondere hat mich der Einblick in die Welt der Castingshows, die Bewertung der verschiedenen Social-Media-Marketingmöglichkeiten und die Unterstützung seiner Familie beeindruckt. Leider war es zuweilen etwas sprunghaft, ich hätte einige Kapitel sicherlich anders angeordnet, um einen stärkeren roten Faden zu schaffen.

Sprachlich hat mich das Buch ebenfalls nicht vollends überzeugt. Mir ist klar, dass eine Künstlerbiographie eines 18-jährigen Superstars auf das Zielpublikum zugeschnitten ist, dass die Sprache einfach, klar verständlich und eben jugendlich zu sein hat. Dennoch finde ich, dass der Autor/die Autoren hier übertrieben haben. Ich weiß nicht, wie viele Dinge, wie viele Situationen des Romans „fresh“ waren, wie oft Lukas Sachen „gefeiert“ hat. Sind denn ein, zwei Synonyme wirklich zuviel verlangt?

Gut gefallen dagegen hat mir die hochwertige Gestaltung des Buches mit farblichen, teils ausklappbaren Cover-Innenseiten und einem schönen Buchumschlag. Buchsatz, Lektorat und Korrektorat haben ebenfalls gut gearbeitet. Ein ganz besonderes Lob möchte ich noch an den Verlag richten, der sich (wie es heute kaum noch einer macht) an eherne Richtlinien gehalten hat, und jedes Kapitel auf einer rechten bzw. ungeraden Seite begonnen hat, auch wenn dies zu Leerseiten im Buch geführt hat.

Mein Fazit? „Der Lukas Rieger Code“ ist eine spannende und interessante Künstlerbiographie, die einen Blick hinter die Kulissen zulässt und zeigt, wie ein Star entsteht. Auch wenn das Buch sprachlich zu stark auf die Jugendsprache setzt und diese übertrieben einsetzt, kann es doch durch eine wunderbare Gestaltung punkten. Für Lukinators und Social-Media-begeisterte Jugendliche genau das Richtige.