[Buchgedanken] Sarah Goodwin: „Stranded – Die Insel“

Vor kurzem habe ich „Stranded – Die Insel“ von Sarah Goodwin gelesen. Das Buch ist 2023 bei Lübbe in der Bastei Lübbe AG erschienen, die Originalausgabe wurde 2021 unter dem Titel „Stranded“ bei AVON, HarperCollins Publishers Ltd. veröffentlicht. Das Buch ist als Thriller einzuordnen, für die Übersetzung zeichnet Dr. Holger Hanowell verantwortlich. Vielen Dank an dieser Stelle auch an den Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars über die Bloggerjury.

Für Maddy wird ein Traum wahr: Sie nimmt an einem neuartigen Fernsehexperiment teil, in dem acht Fremde auf einer einsamen schottischen Insel überleben müssen, ein Jahr lang, mit nur minimaler Ausrüstung und ohne Kontakt zur Außenwelt. 18 Monate später ist Maddys Traum zum Albtraum geworden. Die Behörden greifen die junge Frau in einem Fischerdorf auf dem Festland auf. Verzweifelt berichtet sie, wie das Boot, das die Teilnehmer nach einem Jahr abholen sollte, nicht kam. Und davon, wie in den folgenden Wochen einer nach dem anderen starb, nicht durch Hunger oder Krankheit, sondern durch menschliche Hand. Doch was verschweigt Maddy? Und wie schaffte sie es, die Insel lebend zu verlassen?

„Stranded – Die Insel“ ist der Debütroman von Sarah Goodwin – und was für einer! Als Thriller eingeordnet, könnte man ihn auch den Untergruppen „Psychothriller“ oder „Survivalthriller“ zuordnen. Gleichsam ist das Buch auch durch den von der Außenwelt abgeschnittenen, kleinen Handlungsraum und den damit verbundenen kleinen Kreis an Protagonisten ein Kammerspiel par excellence, das sich in ungeahnte Eskalationsspiralen steigert. Dabei ist der Schreibstil der Autorin zu jeder Zeit schnell und flüssig lesbar und lässt das – brutale – Kopfkino sofort anspringen.

Die Handlung ist kurzweilig, abwechslungsreich, eskapistisch und mit vielen unerwarteten Wendungen versehen. Wenn auch nicht immer logisch, entwickelt sie doch einen unglaublichen Sog, der nur dadurch abgemildert wird, dass die verschiedenen Zeitebenen, in denen das Buch spielt, einige Ergebnisse bereits vorwegnehmen. Dabei greift Sarah Goodwin auf die archaischen Triebfedern der Menschen zurück, um die Handlung voranzubringen: Hunger, Kälte – und den nackten Kampf ums Überleben.

Das Setting ist für den Roman perfekt gewählt. Eine abgeschiedene Insel vor Schottlands Küste, nicht weit, aber weit genug weg von der Zivilisation. Ein gar nicht undenkbares Reality-TV-Format. Und eine diverse Gruppe, die auf Sprengstoff angelegt ist – Sarah Goodwin schafft ein Setting, das plausibel (genug) erscheint, um dem Leser mit Erschrecken auf vieles hinzuweisen, was in der heutigen Gesellschaft schief läuft – und ihm den ein oder anderen Schauer über den Rücken laufen zu lassen.

Die einzelnen Figuren sind zumindest in der Breite vielschichtig angelegt – auch wenn man dank der Erzählperspektive (die hier auch für die Beklemmung sorgt) nur Maddy wirklich im Detail kennen lernt. Dennoch überzeugt auch der „Nebencast“ – allen voran Zoe, während lediglich Frank etwas blass bleibt – hier hätte man aus seiner Figur mehr rausholen können. Gern hätte ich auch mehr über Sashas und Adrians Erlebnisse erfahren, aber dafür hätte ja eine gänzlich neue Perspektive, fernab der Insel, eröffnet werden müssen.

Zur Buchgestaltung kann wenig gesagt werden, da mir ein Leseexemplar vorliegt, das mit der finalen Ausgestaltung nur bedingt übereinstimmt. Festgehalten werden kann jedoch zumindest, dass Lektorat, Korrektorat und Buchsatz sauber gearbeitet haben und das Covermotiv sehr atmosphärisch, allerdings auch etwas beliebig daherkommt. Mit der angekündigten Prägung und dem Farbschnitt sollte das Buch zudem einen hochwertigen Eindruck erzeugen – dies kann aber, wie gesagt, nicht abschließend beurteilt werden.

Mein Fazit? „Stranded – Die Insel“ ist ein wahrer Pageturner, ein toller, atmosphärisch und psychologisch starker Debütroman und Thriller. Für Liebhaber des Genres bedenkenlos zu empfehlen – ab einem Lesealter von 16 Jahren.

[Buchgedanken] Jessica Lind: „Mama“

In der letzten Zeit habe ich „Mama“ von Jessica Lind gelesen. Das Buch ist 2021 in der Verlag Kremayr & Scheriau GmbH & Co. KG, Wien, erschienen und als Gegenwartsliteratur einzuordnen. Vielen Dank an dieser Stelle auch an den Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars über die vermittelnde Agentur Buchcontact.

Amira wünscht sich ein Kind. Als sie schwanger wird, gesellen sich Ängste und Sorgen zu ihrer Vorfreude. Wie wird sie die Mutterschaft verändern? Ein Ausflug zur abgelegenen Waldhütte ihres Partners Josef bringt nicht die ersehnte Entspannung: Rätselhafte Begegnungen häufen sich, Raum und Zeit scheinen außer Kraft und Amira weiß nicht, ob sie ihrer Wahrnehmung noch trauen kann. Was ist Traum, was Realität? Zwischen tiefer Verunsicherung und inniger Mutterliebe beginnt ein Ringen um Selbstbehauptung und Unabhängigkeit – denn der Wald scheint seine Gäste ungern wieder freizugeben …

„Mama“ von Jessica Lind ist alles, außer gewöhnlich. Es ist ein literarisches Werk, der Genregrenzen sprengt, zwischen einem Roman und Psychothriller wandelt, und den Leser durchaus im Dunklen lässt – was dem Lesevergnügen aber keinesfalls einen Abbruch tut.

So ist die Handlung spannend, aber ungewiss, und schraubt sich in immer höhere Eskalationsspiralen. Erleben, Wahn und Traum fließen nahtlos ineinander – und erschaffen ein Psychogramm der Protagonistin, das vor Liebe und Angst, vor Grauen und Freude nur so strotzt. Dabei wird die Handlung perfekt durch das Setting der Hütte im geheimnisvollen Wald unterstützt.

Durch den Charakter eines Kammerspiels und durch die verschwimmenden Grenzen zwischen Fiktion und Realität, lassen sich kaum weitere Aussagen zu der Handlung oder Charakterentwicklung treffen. Jessica Linds Schreibstil jedoch ist hochemotional, präzise und gewaltig, lässt Bilder beim Leser entstehen, und sich doch gleichsam flüssig und schnell lesen – hier merkt man die Herkunft der Autorin aus dem dramaturgischen Bereich.

Die Buchgestaltung ist überwiegend gelungen. Lektorat, Korrektorat und Buchsatz haben sehr sauber gearbeitet, das Buch unter dem Umschlag ist wunderschön und mit leicht farbigen Coverinnenseiten versehen. Der Buchumschlag ist auffällig, Titelbild und Coverrückseite harmonieren gut, werden leider jedoch durch den kontrastären Buchrücken unterbrochen.

Mein Fazit? „Mama“ ist Gegenwartsliteratur zwischen Roman und Psychothriller, ist mehr Psychogramm als Handlung. Das Buch brilliert durch die bildgewaltige Vermischung von Realität und Fiktion – für Liebhaber des Genres bedenkenlos zu empfehlen – ab einem Lesealter von etwa 16 Jahren.

[Buchgedanken] Olivia Kleinknecht: „Der Regisseur“

In der letzten Zeit habe ich „Der Regisseur“ von Olivia Kleinknecht gelesen. Vielen Dank an dieser Stelle an die Autorin für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplares. Das Buch ist in der vorliegenden Ausgabe 2019 im Selfpublishing erschienen und am ehesten dem Genre Thriller zuzurechnen.

41wuxnSsFnLDer Regisseur Vittorio Angelotti ist ein Machtmensch, der ohne Skrupel manipuliert und erpresst. Gerade das übt auf andere einen morbiden Reiz aus. Liegt im Leiden nicht die wahre Lust? Er inszeniert sein Leben wie seine Filme. Ihn interessiert nur eins: sein erotisches Vergnügen, die Suche nach dem ultimativen Glückskick. Doch dann überschreitet Angelotti bei seinem »Spiel« die Grenze zum Verbrechen und gerät in eine Mordintrige. Hält er wirklich noch alle Fäden in der Hand? Oder ist er vom Handelnden längst zum Spielball geworden?

„Der Regisseur“ ist ein etwas anderes Buch. Szenisch aufgebaut, verzichtet es auf die Einteilung in Kapitel oder andere konventionelle Sinnabschnitte, und reiht dahingegen kurze, fragmentarische Szenen/Schnitte aneinander – wie einzelne Cuts im Film. Dadurch wird die Handlung sehr schnelllebig, es fällt aber aufgrund den raschen Sprüngen auch nicht ganz einfach, den einzelnen Charakterern immer zu folgen.

Die Handlung ist morbide, ekelhaft und verstörend – und passt daher gut ins Gesamtbild. Die vielen einzelnen Handlungsstränge werden schlussendlich gut zusammengeführt und aufgelöst, der Spannungsbogen durchaus die größte Zeit gehalten. Etwas ermüdend sind lediglich die leicht zu lang geratenen, eingestreuten Szenen aus Angelottis „Il Papa“.

Die einzelnen Charaktere zeigen verschiedenste Facetten, entwickeln sich aber nur am Rande weiter. Etwas schade fand ich dabei, dass Mia, eine der faszinierendsten Personen, nur so wenig Auftrittszeit bekam. Dahingegen überzeugt das Setting auf ganzer Linie und zeigt Rom sowohl von seinen schönen, als auch von seinen schlechten Seiten.

Die Buchgestaltung kann mit der durchaus überzeugenden Handlung nicht ganz mithalten. Während das Cover noch gelungen ist und gut die Stimmung des Buches aufgreift, sind Lektorat, Korrektorat und Buchsatz doch einige Schnitzer unterlaufen. Die Fehlerquote hält sich dabei noch in einem tolerablen Rahmen und beeinträchtigt den Lesefluss nicht wesentlich, die teils unterschiedlichen Zeilenabstände irritieren jedoch.

Mein Fazit? „Der Regisseur“ ist ein im Großen und Ganzen guter und verstörender Thriller, der vor allem durch sein Setting und seine spannende Handlung überzeugt, aber auch leichte Schwächen in der Verarbeitung aufweist. Für Liebhaber des Genres dennoch zu empfehlen, allerdings nicht unter 18 Jahren.

[Buchgedanken] Dennis Lehane: „Der Abgrund in dir“

Vor kurzem habe ich das neueste Werk von Dennis Lehane, Autor u.a. von „Shutter Island“, gelesen. Das Buch ist am 29.08.2018 im Diogenes Verlag als Hardcover erschienen und dem Genre Thriller zuzuordnen. Die Originalausgabe erschien 2017 unter dem Titel „Since we fell“ bei Ecco, New York. Dass es mir so kurz nach Erscheinungsdatum möglich ist, eine Buchbesprechung des 528 Seiten starken Werkes zu präsentieren, ist dem Verlag zu verdanken, der mir im Rahmen der diesjährigen Litblog Convetion ein unkorrigiertes Leseexemplar für Pressevertreter zur Verfügung stellte – auch an dieser Stelle noch einmal vielen Dank dafür.

41TiFw4eOgL._SX314_BO1204203200_Die frühere Topjournalistin Rachel Childs hat alles, was man sich erträumen kann: eine tolle Wohnung und einen liebevollen, gutaussehenden und erfolgreichen Ehemann, der ihr ein Leben ohne finanzielle Sorgen ermöglicht. Da erscheint es fast nebensächlich, dass ihre eigene Karriere seit einer missglückten Dokumentation auf Haiti ins Stocken geraten ist, und Rachel seitdem von Angststörungen geplagt wird. Nur langsam kehrt sie an der Seite ihres Mannes ins gesellschaftliche Leben zurück, bis in einem Moment ihr ganzes Leben zu einer Face aus Betrug, Verrat und Gefahr verkommt, und Rachel sich ihren größten Ängsten stellen muss. Wird sie kämpfen für das, was sie liebt, oder im Strudel einer unglaublichen Verschwörung untergehen?

„Der Abgrund in dir“ ist mein erstes Buch des Autors. Es ist zugleich Thriller, Liebesgeschichte und Schicksalsroman, ein Buch über das Leben von Rachel Childs und ihre Entwicklung seit der Kindheit. Und so steht auch sie als zentrale Figur im Mittelpunkt, entwickelt immer neue Facetten und Charaktereigenschaften, mal zum Positiven, mal zum Negativen. Bei einer so starken Fixierung auf den Hauptcharakter hätte ich mir gewünscht, dass der Roman in der Ich-Perspektive geschrieben worden wäre, um dem Leser eine noch stärkere Bindung zu und Identifikation mit Rachel zu ermöglichen.

Lehane gelingt es, den Leser mit vielen unerwarteten Wendungen immer mal wieder hinters Licht zu führen. Der Spannungsbogen wird langsam aufgebaut und gewinnt zum Ende hin zunehmends an Stärke – auch dank kurzfristiger Spannungsspitzen. Auch wenn die Handlung teils etwas konstruiert wirkt, überzeugt sie doch insgesamt und sorgt für Nervenkitzel.

Die Schauplätze des Romanes sind gut gewählt, bilden die ganze Bandbreite der Vereinigten Staaten ab, von der urbanen Metropolen-Wohnung bis hin zur verlassenen Fabrik im Nirgendwo, von der urigen Eckbar, die in der Vergangenheit geblieben ist, bis hin zu High-Society-Events. Und so ist, gerade bezüglich der Berichterstattung aus Haiti, „Der Abgrund in dir“ im kleinen auch ein Porträt über das Medienbusiness, über den Wert und die Wahrhaftigkeit von Nachrichten und Nachrichtenschaffenden, über die Schnelllebigkeit der Gesellschaft.

Für ein unkorrigiertes Leseexemplar waren bereits sehr wenige Fehler enthalten, sodass ich guter Dinge bin, dass nach Endkorrektur ein wirklich fehlerarmes Werk vorliegt. Lektorat und Buchsatz haben ebenfalls solide gearbeitet, lediglich vom Cover bin ich nicht gänzlich überzeugt – hier ist viel Potential ungenutzt geblieben.

Mein Fazit? Alles in allem ist „Der Abgrund in dir“ ein gelungener Thriller mit einem tollen Setting, einer starken Hauptprotagonistin und einer spannenden Handlung, die an manchen Stellen allerdings etwas konstruiert erscheint. Für Liebhaber von Thrillern, insbesondere mit psychologischen Elementen, bedenkenlos zu empfehlen.