[Buchgedanken] Aiki Mira: „Neongrau: Game Over im Neurosubstrat“

Vor kurzem habe ich „Neongrau: Game Over im Neurosubstrat“ von Aiki Mira gelesen. Das Buch ist 2023 im Polarise Verlag, einem Imprint der dpunkt.verlag GmbH veröffentlicht worden und dem Genre Science-Fiction zuzuordnen. Vielen Dank an dieser Stelle auch an den Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars im Rahmen einer Leserunde auf Lovelybooks.de.

Hamburg im Jahr 2112: Die Stadt wird immer wieder von Starkregen geflutet, im Binnendelta hat sich ein Slum aus schwimmenden Containern gebildet und über allem thront das gigantische Stadion. Zum „Turnier der Legenden“ reisen Fans aus der ganzen Welt an, um die berühmten Glam-Gamer spielen zu sehen. Auch Go [Stuntboi] Kazumi begeistert sich für das VR-Gaming, fährt jedoch noch lieber Stunts auf dem Retro-Skateboard. Ein Sturz scheint das Aus für Gos Karriere zu bedeuten, doch dann wird Go ein Job im Stadion angeboten – bei den Rahmani-Geschwistern, den berühmtesten Gamern Deutschlands! Von da an überschlagen sich die Ereignisse und Gos Welt wird komplett auf den Kopf gestellt: ein Bombenanschlag, illegale Flasharenen, Tech-Aktivisten, Cyberdrogen, künstliche Intelligenzen – und dann ist da auch noch dieses Mädchen …

„Neongrau: Game Over im Neurosubstrat“ lässt sich bereits schwer einem Genre zuordnen. Vom Verlag beworben als Near-Future-Science-Fiction, als Entwicklungsroman, als LGBTQIA+-Roman, habe ich es der Einfachheit halber bei der Einordnung als Science-Fiction belassen – denn für „Near-Future“ sind mir die 90 Jahre doch etwas viel. Gute Argumente hätten sich aber auch für die Einstufung als progressive Phantastik gefunden – oder sogar für die Kategorisierung als (Polit-) Thriller oder Dystopie.

Die Handlung ist spannend und abwechslungsreich, teils aber auch etwas verworren und sehr komplex, fügen sich doch genug Handlungsstränge und Schauplätze für – mindestens – zwei Bücher mal mehr, mal weniger gut zusammen. So bleiben gerade die politischen Themen etwas flach, die verschiedenen Aktivisten- und Terrorgruppen blass, während der Handlungsstrang um Go, ELLL und die Rahmanis gut aufgearbeitet wird. Gerade der Einstieg fällt jedoch unglaublich schwer – selbst für gameaffine Leser ist der Wechsel zwischen Realität und VR, zwischen Gesprächen, Chats und übermittelten Gedanken anfangs viel und nicht immer leicht fassbar.

Das Setting begeistert hingegen auf ganzer Linie. Aiki Mira entführt den Leser in ein Hamburg der Zukunft, in eine Welt, die von global agierenden Unternehmen geprägt und dominiert wird. Und auch wenn man anfangs etwas braucht, sich zurechtzufinden, ist die Welt doch nach und nach immer faszinierender, spannender und – ja – auch dystopischer. Lediglich die Ingame-Umgebung und die Szenen im Neurosubstrat lassen sich bildlich für die Leser nur schwer fassen.

Die einzelnen Charaktere sind im Wesentlichen vielschichtig angelegt, haben Stärken und Schwächen, eigene Ziele und Motive. Hierbei überzeugen vor allem Ren Kazumi, beide Rahmanis und ELLL, während Ben und Tayo sehr blass bleiben. Bei Go bin ich zwiegespalten. So sind die Zweifel, ihre Suche nach der geschlechtlichen Identität gut dargestellt, darüber hinaus handelt sie aber nicht zwingend nachvollziehbar. Aiki Miras Schreibstil ist im Wesentlichen gut und flüssig lesbar, sehr authentisch und technikaffin.

Die Buchgestaltung ist gelungen, Lektorat und Korrektorat haben sauber gearbeitet, der Buchsatz ist solide, aber relativ schlicht – hier hätte man den Gamecharakter oder die technologischen Features noch etwas besser darstellen können. Das Covermotiv zieht sich über den kompletten Buchumschlag, ist farblich ein Traum und verbirgt das ein oder andere typografische Easter Egg. Allerdings hätte hier durchaus noch mit Klappen oder farbigen Coverinnenseiten das Design etwas aufgepeppt werden können.

Mein Fazit? „Neongrau: Game Over im Neurosubstrat“ ist ein sehr ambitionierter, aber auch gelungener Science-Ficion Roman, der mit einem brillanten Setting punktet, aber fast zu viel Handlung für ein Buch bietet. Für Leser des Genres bedenkenlos zu empfehlen – ab einem Lesealter von 16 Jahren.

[Buchgedanken] Katee Robert: „Neon Gods – Hades & Persephone“ (Dark Olympus 1)

Vor kurzem habe ich „Neon Gods – Hades & Persephone“, den Auftaktband der „Dark Olympus“ Reihe von Katee Robert, gelesen. Das Buch wurde 2022 bei LYX in der Bastei Lübbe AG veröffentlicht, die Originalausgabe erschien 2021 unter dem Titel „Neon Gods (Dark Olympus Book 1)“ bei Sourcebooks Casablanca. Der Roman ist der Dark Romantasy zuzuordnen, für die Übersetzung zeichnet Anika Klüver verantwortlich. Vielen Dank an dieser Stelle auch an den Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars über die Bloggerjury.

Als ihre Mutter Persephone auf einem Ball überraschend Zeus verspricht, bleibt der jungen Frau keine Wahl: Sie flieht über die Brücke des Styx in die Unterstadt, wo sie plötzlich dem geheimnisvollen Hades gegenübersteht. Seit Jahren hat ihn niemand mehr gesehen, er ist ein Mythos, ein Monster – und ihre einzige Chance, Zeus und ihrer Mutter zu entkommen. Vom ersten Augenblick an übt Hades eine Faszination auf Persephone aus, der sie sich nicht entziehen kann. Und so bietet sie ihm einen Deal an, der ihrer beider Leben für immer verändern wird …

„Neon Gods – Hades & Persephone“ ist der erste Teil der „Dark Olympus“ Reihe, die verschiedene Genre vereint. So sind die Bücher der Phantastik, ja sogar der griechischen Mythologie zuzuordnen, balancieren aber zugleich auf der Grenze zwischen New Adult und Erotik mit einem Schuss Dark Romance. Ich habe dies mal als „Dark Romantasy“ zusammengefasst, etwas, womit die Autorin im Hinblick auf den Reihentitel sicherlich leben kann.

Denn die Handlung ist – und hier liegt ein starker Fokus – einfach heiß – oder neudeutsch spicy. Dabei ist der Band in sich abgeschlossen und kann gut als Standalone gelesen werden, im nächsten Teil geht es dann mit einem weiteren Pärchen aus Olympus weiter. Zwar entsteht teils das Gefühl, dass die Rahmenhandlung hier doch etwas zugunsten der erotischen Szenen vernachlässigt wird, dies ist aber aufgrund der unglaublichen Chemie zwischen Hades & Persephone nicht schlimm, sorgen die einzelnen Aufeinandertreffen doch jeweils für ein, zuweilen auch emotionales, Feuerwerk und ein Knistern, das selbst durch die Buchseiten deutlich zu spüren ist.

Das Setting ist naturgemäß brillant. So entführt die Autorin den Leser in die Stadt Olympus, eine Art Neugestaltung des Olymps auf dem heutigen Stand der Technik – Klatschzeitschriften, Autos und moderne Sicherheitssysteme inklusive. Sie nimmt den Leser mit auf göttliche Partys von Zeus und in die Stadt des Hades – und lässt ihn letztere zusammen mit Persephone durch deren Augen entdecken und lieben lernen. Dabei ist Katee Roberts Schreibstil leicht und flüssig zu lesen und lässt das Kopfkino sofort anspringen.

Die einzelnen Charaktere sind im Wesentlichen vielschichtig ausgearbeitet, haben Stärken und Schwächen, eigene Ziele und Motive. Hierbei überzeugen neben Persephone vor allem ihre Schwestern Psyche und Eurydike sowie Hermes, während Hades noch ein paar Ecken und Kanten mehr vertragen hätte. Daher bin ich umso gespannter auf den nächsten Teil der Reihe, dreht er sich doch um Psyche und ihre legendäre Beziehung zu Eros, der in diesem Teil am Rande ebenfalls bereits auftauchte.

Die Buchgestaltung ist ebenfalls auf ganzer Linie überzeugend. So sind Lektorat, Korrektorat und Buchsatz solide, der Buchumschlag ist auf dem Cover und Buchrücken hochwertig geprägt, mit Klappen und farbigen Coverinnenseiten (unter anderem einer Karte der Handlungsorte) versehen – sehr edel. Das Cover ist zwar schlicht, farblich und typografisch aber ein absoluter Traum – und somit ein toller Eyecatcher, der hoffentlich mit den anderen Bänden der Reihe einen einheitlichen Gesamteindruck ergibt.

Mein Fazit? „Neon Gods – Hades & Persephone“ ist Dark Romantasy as its finest – und brilliert mit einem tollen Setting und unglaublich gefühlvollen und heißen Szenen. Für Leser des Genres bedenkenlos zu empfehlen – definitiv nicht unter dem vom Verlag empfohlenen Lesealter von 16 Jahren, vielleicht auch erst ein oder zwei Jahre später.

[Buchgedanken] Kim Young-tak: „Knochensuppe 1: Der Mörder aus der Zukunft“

Vor kurzem habe ich im Rahmen einer Leserunde auf Lovelybooks.de „Knochensuppe 1: Der Mörder aus der Zukunft“ von Kim Young-tak gelesen. Das Buch ist 2023 bei Golkonda in der Europa Verlage GmbH erschienen, die Originalausgabe wurde 2018 unter dem Titel „Gomtang (Beef Bone Soup)“ und Autorennamen Youngtak Kim bei Arte (Book 21 Publishing Group) veröffentlicht. Der Roman ist dem Genre Science-Fiction zuzuordnen, für die Übersetzung zeichnen Hyuk-sook Kim und Manfred Selzer verantwortlich. Vielen Dank an dieser Stelle auch an den Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars.

2063 in der Küstenstadt Busan: Lee Uhwan, ohne Familie aufgewachsen, einsam und frustriert, wohnt im unteren Bezirk der Stadt, wo man jeden Tag ums Überleben kämpft. Seine Tage verbringt er in einer schwülheißen, stinkenden Küche, in der er sich als Gehilfe verdingt hat. Als ihn sein Chef eines Tages beauftragt, eine Zeitreise in das Jahr 2019 zu unternehmen, um ihm ein verloren gegangenes Rezept für eine Knochensuppe zu besorgen, zögert er keine Sekunde, obwohl diese Zeitreisen lebensgefährlich sind. Damit nimmt das Abenteuer seines Lebens seinen Lauf …

„Knochensuppe 1: Der Mörder aus der Zukunft“ ist der erste Band der Dilogie von Kim Young-tak, die dieser 2018 zuerst online als Gesamtwerk und im gleichen Jahr als zweibändige Printausgabe veröffentlichte. Durch die Anlage als Gesamtwerk ist der Roman schwer als Standalone lesbar, endet das Buch doch durchaus in einem Cliffhanger, auch werden kaum relevante Handlungsstränge aufgelöst. Zudem fällt die Genrezuordnung nicht ganz leicht. So erfüllt der Roman definitiv die Voraussetzungen für die Eingruppierung als Science-Fiction, hat zugleich aber auch Ansätze eines Thrillers, hat ein dystopisches Setting und ist – rein technisch gesehen – sogar eine Familiensaga oder ein Entwicklungsroman.

Die Handlung ist kurzweilig und abwechslungsreich, durchaus mit teils unerwarteten Wendungen versehen, wenn auch gelegentlich sehr verworren und etwas langsam, greifen die einzelnen Handlungsstränge doch erst nach und nach ineinander. Sie wird unaufgeregt, ohne große Spannungsspitzen, zurückhaltend von Kim Young-tak erzählt, dessen Schreibstil dennoch flüssig und gut lesbar ist.

Das Setting ist ungewohnt, aber interessant. So entführt der Autor den Leser nach Busan, in eine Stadt, die er sowohl in der Jetztzeit als auch in einer nahen, dystopischen Zukunft präsentiert, und sorgt damit für einen – positiven – Kulturschock, da er eine doch in der hiesigen Literatur sehr vernachlässigte Region in den Fokus stellt und die Aufmerksamkeit des Lesers darauf richtet, dass ihm teils phantastische Settings bekannter sind, als das, was am anderen Ende der Welt geschieht. Vielleicht ja ein Vorbote einer Welle koreanischer Literatur, die der weltweiten Erfolgsgeschichte anderer Medien (K-Pop, K-Drama) nachzueifern versucht.

Die einzelnen Figuren sind komplex, aufgrund der Vielzahl an Handlungssträngen aber teils noch etwas eindimensional, sodass diese hoffentlich im Folgeband konsequent weiterentwickelt werden. Insbesondere Yang Changgeun und Jongin verbleiben daher noch relativ blass, am ehesten können hier noch Kim Hwayeong und Yu Kanghee überzeugen.

Die Buchgestaltung ist solide. Lektorat und Korrektorat haben mit Ausnahme eines riesigen Fehlers im Klappentext und den inkonsistenten Jahresangaben sauber gearbeitet, der Buchsatz ist ordentlich und verdient sich bereits ein Lob dafür, jedes Kapitel auf einer ungeraden Seite zu beginnen. Der Buchumschlag ist mit Klappen und farbigen Coverinnenseiten versehen, insgesamt aber eher schlicht – genau wie das Titelbild, das aber immerhin mit dem zweiten Band ein einheitliches Reihenbild erzeugt und für Wiedererkennungswert sorgt.

Mein Fazit? „Knochensuppe 1: Der Mörder aus der Zukunft“ ist ein gelungener Auftakt in die doch sehr ungewohnte Dilogie, der vor allem mit dem ungewohnten Setting und der doch besonderen Erzählart punktet, aber auch noch Schwächen in der Handlung und Figurenentwicklung besitzt. Für Leser des Genres bedenkenlos zu empfehlen, ab einem vorgeschlagenen Lesealter von 16 Jahren.

[Buchgedanken] Elizabeth Macneal: „Zirkus der Wunder“

Vor kurzem habe ich „Zirkus der Wunder“ von Elizabeth Macneal gelesen. Das Buch ist 2022 im Eichborn Verlag in der Bastei Lübbe AG erschienen, die Originalausgabe wurde 2021 unter dem Titel „Circus of Wonders“ bei Picador veröffentlicht. Das Buch ist als historischer Roman einzuordnen, für die Übersetzung zeichnet Eva Bonné verantwortlich. Vielen Dank an dieser Stelle auch an den Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars über die Bloggerjury.

Südengland, 1866. Die junge Nell, von Muttermalen gezeichnet, wird von den anderen Dorfbewohnern gemieden – bis „Jasper Jupiters Zirkus der Wunder“ im Ort kampiert. Nells skrupelloser Vater wittert ein Geschäft und verkauft sie als „Leopardenmädchen“ an Jasper. Doch was als traumatische Erfahrung beginnt, scheint sich als Glücksfall zu erweisen: Erstmals findet Nell eine echte Heimat. Sie schließt Freundschaften, verliebt sich in den sensiblen Toby – und wird, als „achtes Weltwunder“ gefeiert, zum Star des Zirkus. Doch mit dem Ruhm stellen sich neue Probleme ein.

„Zirkus der Wunder“ ist ein historischer Roman, der den Leser ins neunzehnte Jahrhundert entführt, gleichzeitig aber große Aktualität besitzt, ist er doch ein Plädoyer für Toleranz, Diversität und gesellschaftliche Akzeptanz, zeigt er doch die Folgen von Diskriminierung – im Großen und im Kleinen – und bespricht Themen wie Kriegspropaganda und Traumata. Es ist daher der natürliche Nachfolger von „The Greatest Showman“, auf dessen Protagonist hier oftmals Bezug genommen wird, allerdings mit rein fiktiven Charakteren – und weniger glorifizierend pompös.

Denn die Handlung ist zwar spannend und kurzweilig, aber auch düster. Schonungslos beschreibt Elizabeth Macneal die teils unmenschlichen Zustände anhand einzelner Schicksale, die zwar fiktiv, aber sicherlich authentisch sind. Dabei ist der Roman ungemein atmosphärisch dicht, nimmt den Leser mit auf eine emotionale Achterbahnfahrt, und zeigt seine Authentizität auch darin, dass er ein realistisches und kein verklärtes, kitschgeschwängertes Happy-End bietet.

Das Setting ist erwartbar brillant – bei einer Reise ins viktorianische England kann man hier aber wenig falsch machen – es hat sich als Setting für alle Arten von Romanen bewährt. Schön ist es jedoch, dass die Autorin den Leser hier mal in ein England abseits von London mitnimmt, zumindest teils in ärmliche, ländliche Dörfer führt, die einen krassen Gegensatz zur illustren Hauptstadt bilden. Aber auch die spätere Darstellung von London überzeugt, lediglich die Szene im Buckingham Palace irritiert leicht, dies kann aber auch an dem starken Einfluss liegen, den eine andere Palastbewohnerin auf die letzten Generationen ausgeübt hat.

Die einzelnen Charaktere sind im Wesentlichen vielschichtig ausgearbeitet, haben Stärken und Schwächen, eigene Ziele und Motive. Hierbei überzeugen neben Nell vor allem Stella und Pearl, während Toby etwas blass bleibt. Der Schreibstil von Elizabeth Macneal ist dabei flüssig und gut lesbar, atmosphärisch dicht und sehr bildhaft.

Die Buchgestaltung ist solide, Lektorat und Korrektorat haben sauber gearbeitet, der Buchsatz ist unauffällig. Die farbliche Gestaltung des Schutzumschlags wird leider durch den Buchrücken unterbrochen, insgesamt ist die Gestaltung zudem relativ schlicht, auch wenn sich im Covermotiv immerhin einige Aspekte der Handlung widerspiegeln. Das Buch unterhalb des Umschlags ist gleichfalls schlicht, aber mit farbigen Coverinnenseiten versehen.

Mein Fazit? „Zirkus der Wunder“ ist ein wirklich bestechender historischer Roman mit nur minimalen Schwächen, der vor allem durch sein atmosphärisches Setting und die hohe Aktualität brilliert. Für Leser des Genres bedenkenlos zu empfehlen – ab einem Lesealter von etwa 16 Jahren.

[Buchgedanken] Tuomas Oskari: „Tage voller Zorn“

Vor kurzem habe ich „Tage voller Zorn“ von Tuomas Oskari gelesen. Das Buch ist 2022 bei Lübbe in der Bastei Lübbe AG veröffentlicht worden, die Originalausgabe erschien 2021 unter dem Titel „Roihu“ und dem (originalen) Autorennamen Tuomas Niskakangas bei Otava. Das Buch ist als Politthriller einzuordnen, für die Übersetzung aus dem Finnischen zeichnet Anke Michler-Janhunen verantwortlich. Vielen Dank an dieser Stelle auch an den Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars über die Bloggerjury.

Helsinki 2027. Leo Koski, der junge Ministerpräsident Finnlands, ist charismatisch. Was niemand weiß: Er ist nur die Marionette einer Gilde reicher Männer. Sie sind es, die bestimmen. Die Spaltung der Gesellschaft und die zunehmende Armut in weiten Teilen der Bevölkerung sind ihnen egal. Doch als sich eine junge Frau am Vorabend einer großen Massenkundgebung aus Protest selbst anzündet, gerät das Machtgefüge ins Wanken. Die Frau hatte zuvor Briefe verschickt, um das Land aufzurütteln. In dieser aufgeheizten politischen Lage wendet sich der Ministerpräsident das erste Mal von seinen Geldgebern ab. Aber auf wen kann er noch zählen? Auf seinen Ziehvater und reichsten Mann Finnlands Pontus Ebeling? Auf die Führungsfigur der Linken, Emma Erola? Koski hat nur 24 Stunden, um sein Land vor einer Katastrophe und unzähligen Toten zu bewahren. Der Countdown beginnt …

„Tage voller Zorn“ ist ein Politthriller, dessen Handlung sich im Wesentlichen auf das kleine Finnland beschränkt, der aber globale Auswirkungen suggeriert. Dabei mischt Tuomas Oskari durchaus gesellschaftskritische Themen mit ein, räumt der Kapitalismuskritik viel Raum ein und macht sozialistische Grundmodelle zur Triebfeder der Veränderung – ein mutiger, radikaler Schritt – nicht nur im Buch.

Dabei ist die Handlung rasant, spannend und kurzweilig. Tuomas Oskari überrascht den Leser immer wieder mit unerwarteten Wendungen, treibt die Spannung auf die Spitze, verschiebt Loyalitäten und lässt immer neue Koalitionen entstehen – bis hin zu einem Ende mit Schrecken – oder einem Schrecken ohne Ende? Hierbei erschafft der Autor – erschreckend – ein durchaus denkbares Zukunftsszenario, nimmt den Leser mit auf eine nervenaufreibende, emotionale Achterbahnfahrt – ungeachtet dessen, wo man sich selbst im politischen Spektrum verortet.

Das Setting überzeugt auf ganzer Linie. So führt der Autor den Leser durch das Machtzentrum der finnischen Hauptstadt – geschichtliche und architektonische Exkurse in gebotener Kürze inklusive. Dabei ist Tuomas Oskaris Schreibstil leicht und flüssig zu lesen und lässt das epische Kopfkino direkt anlaufen.

Die einzelnen Figuren sind vielschichtig angelegt, haben Stärken und Schwächen, eigene Ziele und Motive – die teils für den Leser auch lange im Unklaren bleiben. Hierbei begeistern vor allem Leo und Emma und sorgen damit dafür, dass „Tage voller Zorn“ eines der wenigen Bücher ist, in dem mehrere Hauptprotagonisten gleichermaßen überzeugen. Daneben vermögen aber auch wichtige Nebenfiguren wie Vilma und Virve zu begeistern.

Die Buchgestaltung ist gleichermaßen gelungen. Lektorat und Korrektorat haben solide gearbeitet und nur Kleinigkeiten durchrutschen lassen, der Buchsatz ist passend schlicht. Das Cover ist hochwertig geprägt, der komplette Buchumschlag relativ wenig bebildert, aber aufgrund des Farbkonzepts ein absoluter Eyecatcher – noch mehr in Verbindung mit dem farbigen Buchschnitt, der die Coverfarben aufgreift und zu einem Gesamtkunstwerk verwebt. In den farbigen Coverinnenseiten finden sich zudem eine Karte von Helsinki und eine Biografie des Autors – sehr edel.

Mein Fazit? „Tage voller Zorn “ ist ein Politthriller, der auf ganzer Linie begeistert – ein spätes, aber absolutes Highlight des Bücherjahres 2022. Für Leser des Genres bedenkenlos zu empfehlen – ab einem Lesealter von etwa 16 Jahren.

[Buchgedanken] Tatsuya Shihira: „Lovelock of Majestic War 1″(Manga) (Lovelock 1)

Vor kurzem habe ich „Lovelock of Majestic War 1“ von Tatsuya Shihira gelesen. Der Manga ist 2022 bei Manga Cult erschienen, die Originalausgabe wurde 2021 bei KODANSHA LTD. unter dem Titel „Eisen no Lovelock“ veröffentlicht. Für die Übersetzung aus dem Japanischen zeichnet Sascha Mandler verantwortlich. Vielen Dank an dieser Stelle auch an den Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars im Rahmen einer Leserunde auf Lovelybooks.de.

Plötzlich waren sie da. Niemand weiß, woher sie kamen oder woher sie die Macht hatten, die Erde vor dem Untergang zu retten. Doch in einem waren sich die Menschen einig: Diese Unbekannten müssen Helden sein! Die Zwillinge Hiiro und Ao haben seit ihrer Kindheit alles dafür getan, um sich eines Tages den Helden anzuschließen. Während Ao nur wenige Jahre später sein Ziel erreicht hat, muss Hiiro sich damit abfinden, dass in ihm nicht der Funke eines Weltretters steckt. Dabei ist selbst seine ungeschickte Sandkastenfreundin Iruka kurz davor, in Aos Fußstapfen zu treten! Doch die Helden hüten ein dunkles Geheimnis – und als Iruka zufällig dahinterkommt, schwebt nicht nur sie in schrecklicher Gefahr …

„Lovelock of Majestic War 1“ ist der Auftaktband der nur vierbändigen Mangareihe um eine Welt, die von von allen verehrten Helden dominiert wird, die das Unheil der Welt bekämpfen. Dass sich diese Schwarz-Weiß-Zeichnung schnell auflösen würde, war ohnehin bereits dank dem Klappentext klar, stellte sich dann aber auch relativ früh im Buch heraus – nicht zuletzt auch dank dilettantischem Handeln der Helden.

Die Handlung generell ist grundsätzlich spannend und vielschichtig, wenn auch wenig überraschend und in den Kämpfen teils zu hastig – hier hätte man sich mehr Zeit nehmen können. Zudem besteht gerade im Weltenbau, dem Magiekonzept, das den Helden zugrunde liegt, noch einiges an Erklärungsbedarf – ich hoffe, hier schaffen die Folgebände Abhilfe und sorgen für ein insgesamt runderes Bild.

Die Bilder transportieren die Handlung gut und sind toll gezeichnet. Insbesondere die Figuren kommen mit ihren Gefühlen gut zum Ausdruck, auf einige, lautmalerische Ausdrücke zur Unterstützung der Bilder und Handlung hätte man hier aber durchaus verzichten können – diese treten doch etwas zu häufig auf und lenken dabei von den Bildern ab.

Die einzelnen Figuren sind – auch aufgrund der Kürze des Textes bedingt – eher schematisch angelegt und werden sich hoffentlich im Verlauf der nächsten Bände noch konsequent weiterentwickeln. Am stärksten überzeugen bislang Iruka und Toko, während Ryoma sich noch schlecht einschätzen lässt. Hiiro bleibt bislang eher blass, kann nur in seltenen Momenten glänzen und ist sonst naiv und unbedarft.

Die Buchgestaltung ist solide. Lektorat und Korrektorat haben sauber gearbeitet, der Buchsatz ist genretypisch, auch wenn gelegentlich die Zuordnung der Sprechblasen schwer fällt und anders besser arrangiert hätte werden können. Das Cover bildet mit der Coverrückseite ein einheitliches Gesamtbild, das leider durch den Buchrücken durchbrochen wird. Insgesamt ist das Coverbild aber ansehnlich, auch wenn ich mir einen noch stärkeren Bezug zur Handlung gewünscht hätte, als einfach den Protagonisten abzubilden. Es bleibt daher abzuwarten, wie sich das Cover in die Reihe integriert und ob ein einheitlicher Gesamteindruck entsteht.

Mein Fazit? „Lovelock of Majestic War 1“ ist ein guter Start in die Mangareihe mit tollen Zeichnungen, der bei der Handlung zwar noch kleinere Schwächen aber auch viel Potential für die Folgebände hat. Für Leser des Genres bedenkenlos zu empfehlen – mangels Verlagsangabe ab einem geschätzten Lesealter von etwa 16 Jahren.

[Buchgedanken] Christina Rey: „Ein kleines Stück von Afrika – Aufbruch“ (Das endlose Land 1)

Vor kurzem habe ich „Ein kleines Stück von Afrika – Aufbruch“ von Christina Rey gelesen, den ersten Band ihrer neuen Reihe „Das endlose Land“. Das Buch ist 2022 bei Lübbe, Bastei Lübbe AG, erschienen und als Familiensaga einzuordnen. Vielen Dank an dieser Stelle auch an den Verlag für die Bereitstellung eines unverkäuflichen Leseexemplars zur Rezension über die Bloggerjury.

1910. Auf einer Safari in Kenia verliebt sich die junge Ivory in dieses Land und seine Tier- und Pflanzenwelt – und in den Großwildjäger Adrian Edgecumbe. Sie hofft, dass er sein blutiges Geschäft für sie aufgeben wird, doch Adrian ist Abenteurer durch und durch. Ivy ahnt bald nach der Hochzeit, dass sie nur eine Trophäe für ihn ist. Als Adrian im Krieg als vermisst gemeldet wird, nimmt Ivy die Geschicke der Farm in ihre eigene Hand. Statt der Großwildsafaris bietet sie Fotoaufnahmen und Beobachtungen von Tieren an. Bei der Verwaltung des Landes geht sie mutige Wege, die vielfach auf Ablehnung stoßen. Entschlossen kämpft sie für ihre Ziele und verliert dabei auch ihr Herz. Aber kann und darf sie aus einer engen Verbundenheit Liebe werden lassen?

„Ein kleines Stück von Afrika – Aufbruch“ ist der Beginn der Familiensaga um Ivory Parkland Rowe, die es aus Großbritannien nach Afrika verschlägt. Das Buch lässt sich dabei durchaus als Standalone lesen, da die wesentlichen Handlungsstränge des Romans aufgelöst werden und die Geschichte nicht in einem allzu brutalen Cliffhanger endet. Dennoch verbleibt auch genug Potential, um die Erlebnisse von Ivory weiter zu erzählen.

Die Handlung generell ist kurzweilig, wenn auch teils vorhersehbar. Christina Rey mischt dabei Themen wie Großwildjagd, Kolonianismus und Rassismus – natürlich vor dem historischen Hintergrund – ohne allzu belehrend zu werden zu einem durchaus gesellschaftskritischen Potpourri, das teils auch heute noch Aktualität besitzt. Kurzzeitige Längen, gerade zu Beginn des Buches, lassen sich hierbei gut verschmerzen.

Denn das Buch lebt von seinem brillanten Setting. Die Autorin zeigt die Gegensätze zwischen der britischen Upper Class und dem kolonialisierten Afrika und vermag dabei die Irrwitzigkeit des Versuchs, den gewohnten Lebensstil auf dem fremden Kontinent zu implementieren, gut für den Leser zu transportieren. Der Schreibstil von Christina Rey lässt sich hierbei leicht und flüssig lesen, ist authentisch und zeugt von ordentlicher Recherche.

Die einzelnen Figuren sind im wesentlichen vielschichtig angelegt, haben Stärken und Schwächen, eigene Ziele und Motive. Hierbei überzeugen insbesondere wichtige Nebenfiguren wie Schwester Margaret sowie Susan und Peter Derringer, während Adrian etwas blass bleibt. Auch bei Ivory besteht noch Entwicklungspotential, das hoffentlich im nächsten Band dann besser ausgereizt wird.

DIe Buchgestaltung ist – soweit im Leseexemplar beurteilbar – gelungen. Lektorat und Korrektorat haben größtenteils sauber gearbeitet, der Buchsatz ist fehlerfrei, aber auch unscheinbar und konservativ. Der Buchumschlag hingegen ist sehr edel, mindestens mal auf dem Cover hochwertig geprägt und mit Klappen und farbigen Coverinnenseiten versehen. Das Covermotiv ist ansehnlich, lässt aber etwas den Bezug zur Handlung vermissen und wirkt etwas künstlich.

Mein Fazit? „Ein kleines Stück von Afrika – Aufbruch“ ist ein gelungener Start in die Familiensaga, der vor allem durch sein Setting brilliert, aber auch kleinere Längen und noch Entwicklungspotential bei den Protagonisten besitzt. Für Leser des Genres bedenkenlos zu empfehlen – mindestens mal ab dem vom Verlag empfohlenen Lesealter von 16, vielleicht auch ein oder zwei Jahre früher.

[Buchgedanken] Karlotta Stahl: „Verbrechen sind mein Job: Eine junge Staatsanwältin ermittelt“

Vor kurzem habe ich „Verbrechen sind mein Job: Eine junge Staatsanwältin ermittelt“ von Karlotta Stahl gelesen. Das Buch ist 2022 bei Eden Books, Edel Verlagsgruppe GmbH erschienen und als Sachbuch einzuordnen. Vielen Dank an dieser Stelle auch an den Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars im Rahmen einer Leserunde auf Lovelybooks.de.

Karlotta Stahl wird mit gerade mal 25 Jahren zu einer der jüngsten Staatsanwältinnen Deutschlands berufen. Die frisch gebackene Juristin hat zunächst keinen blassen Schimmer, was sie erwarten wird, und dennoch wagt sie den Sprung ins kalte Wasser. Schnell merkt sie, dass sie für diese Arbeit brennt. Ihre Mission: Allen die gerechte Strafe zukommen zu lassen und auch die ausgeklügeltsten Verbrechen aufzuklären!

„Verbechen sind mein Job“ macht es bereits nicht leicht, das Buch einem Genre zuzuordnen. So ist das Buch als True Crime betitelt, was es nicht wirklich ist, und wird bei Handelsportalen unter anderem als Buch der Rechtslehre oder Rechtsmedizin einsortiert – was definitiv falsch ist. Vielmehr versammelt Karlotta Stahl in dem Buch Anekdoten aus ihrem Berufsalltag, lose nach dem Gang eines Strafverahrens geordnet. Diese sind teils amüsant, in jedem Fall aber zumindest niederschwellig informativ, sodass ich das Buch als (erzählendes) Sachbuch eingruppieren würde.

Die einzelnen Anekdoten geben dabei einen interessanten Einblick in die Tätigkeit als Staatsanwalt, wobei die Autorin auch die Schattenseiten, oder besser gesagt die Herausforderungen, des Berufs nicht verschweigt. Dabei richtet sich das Buch vor allem an Leser ohne juristische Vorbildung – was auch das Glossar am Ende des Buches zeigt -, ist durchaus aber auch für vorgeprägte Leser eine amüsante Lektüre, da man sich durchaus in einigen Erzählungen wiederfindet.

Karlotta Stahls Schreibstil ist dabei leicht und flüssig zu lesen, der Autorin gelingt es, trotz des trockenen theoretischen Überbaus nie zu stark dozierend zu werden, sondern immer an der Praxis zu bleiben – mit einem Augenzwinkern, auch bei schwierigen Themen. Als Leser fliegt man so direkt durchs Buch, und es ist viel zu schnell vorbei.

Die Buchgestaltung ist gelungen. Lektorat und Korrektorat haben im Wesentlichen sauber gearbeitet, der Buchsatz ist ordentlich. Der Buchumschlag ist auf dem Cover und Buchrücken leicht geprägt und mit Klappen und einfarbigen Coverinnenseiten versehen, das Titelbild ist dafür eher austauschbar und etwas beliebig.

Mein Fazit? „Verbrechen sind mein Job: Eine junge Staatsanwältin ermittelt“ ist kein True Crime, aber dennoch amüsant und informativ. Für Interessierte am Thema bedenkenlos zu empfehlen, ab einem Lesealter von 16 Jahren.

[Buchgedanken] Jens Henrik Jensen: „EAST. Welt ohne Seele“ (Kazanski 1)

Vor kurzem habe ich „EAST. Welt ohne Seele“ von Jens Henrik Jensen gelesen. Das Buch ist 2022 im dtv Verlag erschienen, die Originalausgabe wurde unter dem Titel „Kællingen i Kraków“ veröffentlicht. Das Buch ist dabei als Agententhriller einzuordnen, für die Übersetzung aus dem Dänischen zeichnet Ulrich Sonnenberg verantwortlich. Vielen Dank an dieser Stelle auch an den Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars im Rahmen einer Buchpremiere auf Lovelybooks.de.

Nach einem gewaltsamen Verlust hört CIA-Agent Jan Jordi Kazanski nicht mehr auf zu trinken. Gegen seinen Willen ist er kaltgestellt, wird aber überraschend in den Dienst zurückberufen und gen Osten entsandt: Er soll „Die Witwe“ aufspüren. Sie führt die größte Verbrecherorganisation Krakaus an, niemand kennt ihre wahre Identität. Kaum angekommen, entgeht Kazanski nur knapp einem Mordanschlag. Seine Suche führt ihn immer tiefer in eine trügerische und korrupte Welt. Wer will seinen Tod?

„EAST. Welt ohne Seele“ ist der erste Teil der Trilogie um den CIA-Agenten Jan Jordi Kazanski und spielt wenige Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Dabei balanciert der Roman auf der Grenze zwischen Agenten-, Polit- und normalem Thriller – wobei ich es der Einfachheit halber hier bei der Bezeichnung als Agententhriller belassen habe.

Denn die Handlung ist durchaus ambitioniert. CIA, Europol, FSB, russische Mafiastrukturen und die organisierte Kriminalität Krakaus – Jens Henrik Jensen lässt hier einen bunten Strauß an machtvollen Akteuren agieren, deren Beziehungen zueinander mal klar, mal verworren sind. Dabei gelingt es dem Autor jedoch nicht immer, den Leser bei der Stange zu halten, gelegentlich verliert er ihn in den Details, denn was aus Sicht des Autors vermutlich auf dem Reißbrett noch Sinn machte, funktioniert hier im Buch nur bedingt, zum Beispiel der sehr extensive Alkoholkonsum von Kazanski.

Das Setting hingegen vermag durchweg zu glänzen. Der Autor entführt den Leser ins Krakau um die Jahrtausendwende, in eine Stadt zwischen Ost und West, zwischen Tradition und Moderne. Dabei ist Jens Henrik Jensens Schreibstil durchaus flüssig und gut lesbar, sodass das Kopfkino sofort anspringt und den Leser mit auf die Reise in die durch internationale Verwicklungen geprägte Unterwelt Krakaus nimmt.

Die einzelnen Charaktere sind dabei teils vielschichtig angelegt, haben Stärken und Schwächen, eigene Ziele und Motive. Hierbei überzeugt vor allem Xenia als Agentin im Loyalitätszwist, während Kazanski doch etwas eindimensional verbleibt – ein Fakt, den hoffentlich die nächsten beiden Bände der Reihe etwas beleben können.

Die Buchgestaltung ist in Ordnung. Dem Lektorat und Korrektorat sind nur Kleinigkeiten durchgerutscht, die den Lesefluss nicht erheblich stören, der Buchsatz ist fehlerfrei. Der Buchumschlag ist auf dem Titel und Buchrücken leicht geprägt und wartet mit farbigen Coverinnenseiten auf, das Cover vermittelt gut die Grundstimmung des Thrillers, lässt aber etwas Bezug zur Handlung vermissen. Zusammen mit den weiteren Bänden der Reihe bildet es jedoch einen guten Gesamteindruck mit Wiedererkennungswert und klarem Farbkonzept.

Mein Fazit? „EAST. Welt ohne Seele“ ist ein ordentlicher Start in die Reihe um CIA-Agent Kazanski, der vor allem mit einem gelungenen Setting und tollen Nebencharakteren punktet, aber auch etwas ambitioniert und teils zu überladen ist. Für Leser des Genres dennoch zu empfehlen – ab einem Lesealter von 16 Jahren.

[Buchgedanken] Jana Paradigi: „Kitty Carter – Dämonenkuss“ (Kitty Carter 1)

Vor kurzem habe ich „Kitty Carter – Dämonenkuss“ von Jana Paradigi gelesen. Das Buch ist 2022 im Novel Arc Verlag erschienen und als historische Urban Fantasy einzuordnen. Vielen Dank an dieser Stelle auch an den Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars über die vermittelnde Agentur Literaturtest.

England 1862, das Jahr der Weltausstellung in London. Die 49-jährige Kitty Carter hat in ihrem Leben auf Liebe und Familie verzichtet, um als Frau einem Beruf nachgehen zu können. Sie arbeitet als unscheinbare Bürokraft bei der City of London Police. Ihr Talent für treffgenaue Vorahnungen ist das Einzige, was ihr den öden Alltag versüßt – bis sie das erste Mal stirbt und überraschend von Gott persönlich einen Auftrag erhält. Durch die Chance auf ein zweites Leben beginnt Kitty nachzuholen, was sie im ersten Anlauf verpasst hat. Ihre neu gewonnene Abenteuerlust und ungeahnte Begierden lenken sie bald von der eigentlichen Aufgabe ab: der Jagd nach einem mörderischen Dämon. Während Kitty der immer länger werdenden Spur aus Leichen folgt, geraten die Grundfesten ihres Seins weiter ins Schwanken und sie muss sich fragen: Wie göttlich ist ihre Mission wirklich?

„Kitty Carter – Dämonenkuss“ wird als bunter Genremix beschrieben, als Mischung aus Urban Fantasy und einem viktorianischen Krimi für Fans von Sherlock Holmes, als magisches Steampunk-Abenteuer. Ich sehe hier jedoch weder Steampunk noch einen wirklichen Krimi, sondern vielmehr klassische historische (Urban-) Fantasy, die jetzt wenig mit Sherlock Holmes zu tun hat, aber nichtsdestotrotz trotzdem unterhaltsam ist.

Denn die Handlung ist durchaus abwechslungsreich und spannend, teils aber auch etwas zähflüssig. Dabei hätte ich mir gewünscht, dass vor Beginn des paranormalen Teils Kittys Karriere bei der Polizei noch etwas stärker beleuchtet worden wäre, denn die Prämisse einer älteren, hellsichtigen und alleinstehenden Frau in der historischen Polizei ist doch sehr ungewöhnlich und interessant, während die Szenen im Jenseits hingegen etwas verwirrend sind, der Weltenbau bzw. das Magiekonzept / der spirituelle Oberbau hier noch weiter erklärungsbedürtig ist – was ggf. ja in möglichen Folgebänden erledigt werden könnte.

Das Setting – im Diesseits – überzeugt im Wesentlichen – wie könnte das viktorianische England auch nicht? Jana Paradigi entführt den Leser ins London des Jahres 1862, in die High Society zwischen Séancen, Kaffeehäusern und der Weltausstellung, die die Stadt zum Pulsieren brachte. Dabei betrachtet man die Welt durch die Augen der 49-jährigen Protagonistin, eine immer noch ungewohnte Perspektive für die viktorianische Zeit.

Kitty Carter kann dabei als Charakter durchaus glänzen. Sie ist im Tod reflektiert, zurückgesandt durchaus untypisch impulsiv, dafür aber auch selbstbestimmt und frei – sehr erfrischend. DIe anderen Personen sind hingegen eher eindimensional angelegt, am ehesten können hier noch Rose und Tessi überzeugen, während Eliza und Ruff, aber insbesondere auch Amari, eher blass verbleiben.

Die Buchgestaltung ist solide. Lektorat und Korrektorat sind durchaus kleinere Sachen durchgerutscht, die den Lesefluss allerdings nicht wesentlich hemmen, der Buchsatz ist sehr schön und verdient sich allein schon dafür ein Extralob, jedes Kapitel auf einer ungeraden Seite zu beginnen. Das Covermotiv ist wunderschön anzusehen und zieht sich über den kompletten Buchumschlag, sodass ein tolles Gesamtbild entsteht – lediglich der Bezug zur Handlung könnte noch ausgeprägter sein.

Mein Fazit? „Kitty Carter – Dämonenkuss“ ist ein gelungener Auftakt in eine potentielle Buchreihe, der vor allem durch sein Setting und einige ungewohnte Entscheidungen brilliert, aber auch einige Längen hat und, gerade im Paranormalen, noch Erklärungsbedarf besitzt. Für Leser des Genres bedenkenlos zu empfehlen – bereits ab einem Lesealter von 16 Jahren – und nicht wie vom Verlag empfohlen erst ab 18.