[Buchgedanken] Viktoria Bolle: „Die Brücke nach Hause“

In den letzten Tagen habe ich „Die Brücke nach Hause“ von Viktoria Bolle gelesen. Das Buch ist 2015 im Selfpublishing erschienen und am ehesten dem Genre historischer Roman zuzuordnen, auch wenn die Grundhandlung auf wahren Begebenheiten basiert. Vielen Dank an dieser Stelle auch an die Autorin für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplares.

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Die Verhältnisse, in denen Johann lebt, sind bedrückend. Er kämpft täglich mit Hunger, Not und Elend, erlebt die Zwangskollektivierung, die Deportation nach Kasachstan, Jahre harter Zwangsarbeit in der Trudarmee und die Gefangenschaft im Sträflingslager. Ein strenges Regime unter der Herrschaft Stalins martert ihn fast zu Tode. Sein Vater, dem er nur ein einziges Mal im Leben begegnet, ist ein NKWD-Offizier, der 1937 der Säuberung zum Opfer fällt und erschossen wird. Seine Mutter stammt aus sehr ärmlichen Verhältnissen und hat es schwer, den Jungen zu ernähren. Von Anfang an hat Johann geringe Überlebenschancen, doch er schafft es, trotz der vielen Strapazen am Leben zu bleiben und seine Geschichte zu erzählen.

„Die Brücke nach Hause“ erzählt die Geschichte einer deutschen Familie im Zeitraum von 1925 bis 2006, von den Anfängen als Wolgadeutsche bis hin zu Krieg, Vertreibung und der schlussendlichen Rückkehr nach Deutschland. Es ist ein Roman über ein dunkles, viel zu selten beleuchtetes Kapitel der Geschichte, inspiriert von dem eigenen familiären Hintergrund der Autorin, die selbst noch in Kustanaj geboren ist.

Dabei punktet der Roman vor allem dank eines brillanten und detailgetreuen Settings und einer großen, historischen Authentizität, die sich vor allem auch in kleinen Details zeigt. Die Recherche und die Kenntnisse der Autorin über die Epoche waren stets fühlbar und wurden in aller Regel geschickt ins Werk eingebaut, nur selten fühlte man sich belehrt.

Aufgrund des Prologes und der episodenhaften Erzählung wird jedoch viel Spannung vorweggenommen. So ist der Ausgang der Geschichte von vornherein klar, wichtige Elemente werden nur kurz angerissen, während andere Abschnitte Längen aufweisen. Durch die Erzählung von Johann, ähnlich eines stark gerafften Tagebuches, fehlt es den Figuren an Tiefe – und hier ist auch die, beim historischen Setting sehr gelobte, Beschreibungsdichte schädlich. Mittels „Show, don’t tell“ hätte der Leser viel mehr in die Handlung eintauchen, viel besser Bindung zu Johann und den anderen Charakteren aufnehmen können. Um ingesamt die Handlung runder zu gestalten, hätten sicherlich 50-100 zusätzliche Seiten nicht geschadet.

Leider weist die Buchgestaltung einige Schwächen auf. Sofern ein Lektorat und/oder Korrektorat durchgeführt worden sein sollte, besteht Nachholbedarf, da viel zu viel durchgerutscht ist. Gleiches gilt für den Buchsatz. Mangels Silbentrennung am Zeilenende sind die Wortabstände sehr unterschiedlich, hinter (fälschlich verwendeten) Apostrophen befindet sich ein größerer Abstand. Irritierend ist auch der dauerhaft in Kopfzeilen festgehaltene Titel des Buches. Das Grundmotiv des Covers ist schön, leidet aber etwas unter der Druckqualität. Zudem setzt sich auch der Buchtitel nicht wirklich vom Cover ab.

Mein Fazit? „Die Brücke nach Hause“ ist ein historischer Roman, der etwas Licht in ein viel zu selten beleuchtetes Kapitel der deutsch-russischen Geschichte bringt und vor allem mit einem tollen Setting und historischer Authentizität punkten kann. Trotz leichterer Schwächen im Erzählstil und Mängeln in der Buchgestaltung für Liebhaber historischer Romane noch zu empfehlen.

 

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