[Buchgedanken] Tina Ariam: „Die Moritat der Organspenderin“

Vor kurzem habe ich „Die Moritat der Organspenderin“ von Tina Ariam gelesen. Das Buch ist 2023 im Wreaders Verlag erschienen und dem Genre Steampunk zuzuordnen. Es ist das erste Buch, das ich im Rahmen der Tätigkeit als Lesejuror für den Phantastikpreis SERAPH 2024 gelesen habe. Die folgende Besprechung spiegelt hierbei lediglich einen individuellen Leseeindruck wieder, sodass keine Rückschlüsse auf die Gesamtentscheidung der Jury getroffen werden können.

Rye, England, ca. 1884. Durch die unkenntlich gemachten Gesichter weiß Henri nie, wer auf ihrem Operationstisch landet. Für die örtlichen Schmuggler entnimmt sie den Leichen ihre Organe. Für die wirklich wichtigen Kunden stiehlt sie das Wissen der Toten. Doch dann liegt plötzlich der britische Thronfolger auf ihrem Tisch.

„Die Moritat der Organspenderin“ ist der Debütroman von Tina Ariam, sonst könnte er auch schlecht als „Bestes Debüt“ für den SERAPH nominiert sein, gleichzeitig aber wohl auch Auftakt für eine Buchreihe, ist eine Fortsetzung doch angeteasert, die allerdings von der Prämisse doch sehr an „Kingsman“ erinnert. Das Buch lässt sich dabei relativ eindeutig dem Genre Steampunk zuordnen, spielt es doch in der viktorianischen Zeit, die in dieser Realität von Luftschiffen und technischen Gerätschaften dominiert wird. Etwas irritierend, dass das Buch zwar genau datiert ist, die englische Königin aber ausgetauscht wurde – gleiches gilt wohl auch für den restlichen europäischen Hochadel, der mit echten Titeln aber fiktiven Personen durchsetzt wurde.

Die Handlung ist durchaus abwechslungsreich und spannend, wenn auch mit kleineren Logiklücken versehen. Gern hätte ich mir auch noch mehr Moritaten gewünscht, die in den Text eingebaut worden wären, um noch mehr Atmosphäre zu schaffen. Gerade im zweiten Teil nimmt die Handlung jedoch deutlich an Fahrt auf und entwickelt sich durchaus zum Pageturner – auch dank der Reise auf dem Luftschiff, die hier für einen spannenden Wechsel des Handlungsortes sorgt.

Das Setting kann dadurch auf ganzer Linie glänzen. So entführt die Autorin den Leser nicht nur ins „viktorianische“ (aufgrund einer anderen Königin ja nicht der passende Name) England nach Rye, sondern auch mit einem Luftschiff über die Wolken – und nach Wien ins Schloss Schönbrunn. Dabei ist das Steampunk-Setting sehr klassisch, aber nichtsdestotrotz begeisternd – insbesondere die Ausstattung der Ikarus IX lässt den Leser träumen und sich ebenfalls an Bord wünschen.

Die einzelnen Figuren sind im Wesentlichen vielschichtig ausgearbeitet, haben Stärken und Schwächen, eigene Ziele und Motive – auch wenn die inneren Stimmen, ein so interessantes und innovatives Konzept, noch stärker in den Fokus hätten gestellt werden können. Insgesamt überzeugen insbesondere wichtige Nebencharaktere wie Ludwig und Eustace, aber auch Henri kann glänzen, während Scott noch etwas blass verbleibt, im nächsten Band aber konsequent weiterentwickelt werden kann. Tina Ariams Schreibstil lässt sich zudem leicht und flüssig lesen und das Kopfkino sofort anspringen.

Aussagen zur Buchgestaltung lassen sich nur bedingt treffen, da ich ein digitales Exemplar gelesen habe und daher nichts zur Ausstattung des Prints sagen kann. Lektorat, Korrektorat und Buchsatz lassen sich jedoch durchaus beurteilen. Und während der Buchsatz hier durchaus ansehnlich ist – kleinere Satzfehler können auch an meinem Leseprogramm liegen – haben Lektorat und Korrektorat doch einige Schwächen, die sich auch kontinuierlich durchs Buch ziehen und bei mir für Irritationen sorgen – was das Lesevergnügen dann doch leicht schmälert.

Mein Fazit? „Die Moritat der Organspenderin“ ist ein durchaus gelungenes Debüt, das vor allem mit einem brillanten Setting und einigen innovativen Ideen punktet, aber auch kleinere Schwächen, insbesondere auch im Lektorat/Korrektorat hat. Für Leser des Genres dennoch bedenkenlos zu empfehlen – ab dem vom Verlag vorgeschlagenen Lesealter von 16 Jahren.

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